Der Hypnosearzt
begnadeten Schauspieler wie ihn? Falls er überhaupt einer ist … Zumindest die Gefühle dir gegenüber scheinen in Ordnung zu sein. Nein, mehr als das, sie sind echt, und – ja, gib es zu – sie sind irgendwie überwältigend.
Noch etwas fiel Stefan ein. »Sag mal, machst du dir eigentlich gar keine Gedanken mehr über das, was damals passiert ist?«
»Meinen Unfall in eurem Wald?«
»Deinen Fahrer.«
Lindner verlor sein Lächeln. »Das Leben ist gefährlich, und das von dem Augenblick an, in dem du geboren wirst. Für jeden von uns, Stefan, für jeden …«
Im alten R4 ihres Onkels hatte Régine auf den Col gekarrt, was Fabien zum Leben so brauchte: Plastikflaschen mit Wasser, Wein, Brot, Käse, Tomaten und Pasta, dazu eine Staude Bananen und ein paar Tafeln Schokolade. Das war Dienstag mittag gewesen.
Régine hatte am Waldweg alles ausgeladen und den Proviant durch wilde Brombeerbüsche und Lavendel zur Hütte hinuntergetragen. Das Wort Hütte war eine Übertreibung, denn im Grunde handelte es sich um eine tiefe Sandsteinhöhle. Fabiens Vater Pascal hatte sie vor Jahren entdeckt und als Ort für seine Tierbeobachtungen ausgewählt. Vor zwei Jahren hatte er dann zusammen mit seinem Sohn einen Vorbau aus Zementblöcken angefügt, hoch genug, daß man ein Kamerastativ aufstellen und im Stehen fotografieren konnte. Dieser Vorbau wurde mit einem Wellblechdach gedeckt, ein Fenster und eine Tür kamen hinzu, die Einrichtung bildeten zwei wacklige Stühle, ein Arbeitstisch und eine Petroleumlampe. Das Bett, eine Matratze mit eisernem Untergestell, stand in der Höhle.
Dienstag nacht schlief Fabien zum ersten Mal in der Höhle. Régine wollte tapfer bei ihm durchhalten, doch Fabien hatte sie nach Hause geschickt. In der Höhle war es einfach zu eng.
Am nächsten Morgen begann er mit der Arbeit. Mit dem Beil zerkleinerte er Äste zu fünfzig Zentimeter hohen Stäben und teilte damit das Brandfeld mit der Ruine und den letzten Mauer- und Möbelresten und den verkohlten Balken in eine Art geometrisches Schachbrettmuster auf. Jedes Feld betrug fünf mal fünf Meter.
Fabiens Arbeitszeug waren ein Rechen und eine Schaufel. Er würde methodisch vorgehen, würde jedes einzelne Feld untersuchen, die Asche umwenden, jeden Stein und jedes verbrannte Stück Holz in die Hand nehmen.
Fabiens Ziel war eine Blechschachtel.
Die Schachtel stammte aus England und war das Geschenk einer Cousine seiner Mutter. Ihre Prägung zeigte ein Ritterturnier, und sie war, als sie vor vielen Jahren in Saint-Michel eintraf, mit Ceylon-Tee vollgepackt gewesen.
Fabien schätzte, daß er vier oder fünf Tage, vielleicht auch eine Woche brauchen würde. Auch wenn er die Chance, daß der Inhalt der Schachtel das Höllenfeuer überstanden haben könnte, für gering einschätzte, er mußte es versuchen.
Der Wind, der noch am Dienstag herrschte, war eingeschlafen. Als Fabien mit seiner Arbeit begann, war er erleichtert darüber. Er arbeitete fast nackt, mit nichts als einer vor Ruß starrenden Badehose bekleidet. Es gab kaum Wasser auf dem Col. Die kleine Quelle, die im Sommer und im Frühjahr zuvor das Haus versorgt hatte, war von Trümmern bedeckt und von der Hitze ausgetrocknet, ihr Kupferrohr bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzen, und wenn Fabien abends in die Hütte zurückkehrte, verströmte seine Haut den bitteren, beißenden Geruch des Brandes.
Freitag früh ertrug er es nicht länger. Die Arbeiter am Hang, all diese Betonierer, Maurer, Ausschachtungsspezialisten und LKW-Fahrer von Port Les Fleurs rissen die Augen auf, ließen die Werkzeuge sinken, als ein nackter junger Mann aus den Büschen hervorbrach, das Gesicht, der ganze Körper schwarz verklebt, ein rotes Tuch um den Kopf, und mit wilden Augen an ihnen vorüberstürmte, den Hang hinab zur Küste, um sich dort ins Meer zu werfen.
Am Abend des dritten Tages hatte Fabien fünfzehn der Quadrate geschafft.
Am nächsten Tag beruhigte sich der Wind vollends, aber es kam die Sonne. Und mit ihr die Hitze. Sie trieb Fabien den Schweiß aus den verkleisterten Poren und zog tiefe helle Streifen durch die Ruß- und Aschekruste auf seiner Haut.
Bereits am frühen Nachmittag schmerzten seine Knochen und Muskeln, war sein Mund so trocken, daß er aufgeben wollte – doch dann machte er an der Nordwestecke einen Fund. Fabien warf sofort den Rechen weg, kniete sich nieder, seine Hände gruben sich durch die grauschwarze, weiß gefleckte bröselige Schicht.
Hier? Ja!
Seine Fingerkuppen
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