Der Hypnosearzt
ertasteten Metall.
Eine rechteckige Form.
Ganz deutlich spürte er die Kanten: es mußte der Deckel einer Metallschachtel sein.
Mit dem Handrücken wischte Fabien sich den Schweiß aus den brennenden Augen.
Er grub tiefer, hob an – und hielt eine brandgeschwärzte rechteckige Dose von etwa dreißig Zentimeter Seitenlänge in der Hand. Fabien sah sich um. Er befand sich in der Hausecke, in der einst Pascals Bücherregal gestanden hatte.
Vorsichtig, ganz vorsichtig entfernte Fabien die dicke krustige Schicht. Das Metall fühlte sich merkwürdig glatt an, aber vielleicht hatte das Feuer die Prägung vernichtet.
Und da sah er Farbreste. Sie waren dunkelgrün. Die Schachtel, die er suchte, war goldbraun gewesen.
Fabien öffnete sie nicht. Er wußte schon jetzt, was sein Vater darin aufbewahrt hatte: das Nähzeug und all die Wollknäuel, mit denen er an den langen Winterabenden seine Pullover geflickt hatte.
Fabien ließ die Schachtel fallen.
Seine Schultern krümmten sich, ein Zittern befiel den ganzen Körper; er saß nur da, die Knie angezogen, inmitten des Aschegeruchs, eingeriegelt in seine Einsamkeit, die Augen geschlossen, Augen, unter deren Lidern sich langsam Tränen hindurchquälten und helle Bahnen über das schmutzige Gesicht zogen.
Und vom Hang kam das Dröhnen der Maschinen …
Die rechte Hand lag auf der warmen Asche, sank tiefer in die Mulde, seine Finger schlossen sich um eine harte ovale Form. Fabien hob sie hoch. Ein weißer kleiner Knochenschädel kam zum Vorschein. Die Öffnungen, die einmal Augen gewesen waren, blickten ihn an.
Der Schädel einer Katze.
»Néro«, flüsterte Fabien: »O Gott! Nein.«
Und der Krach dort unten schwoll an …
Sie schafften es nicht bis halb fünf, und im Hafen von Saint-Tropez gab es keine Liegeplätze, also mußte das Beiboot zu Wasser gelassen werden.
Stefan beobachtete, wie das blaue Motorboot auf die kleine Gruppe von Menschen zuraste, die sich dort an der Mole versammelt hatte: eine Frau und vier Männer. Die Frau war Maria Lindner. Sie trug eine dunkelblaue Hose und ein weißes Hemd. Die Gesichter waren auf die Entfernung nicht zu erkennen, Bergmann sah nur, daß Maria Lindner mit der Linken einen großen Strohhut hielt und daß sich unter den Männern einer befand, der alle anderen weit überragte. Nun kletterte die Gruppe in das Boot.
Stefan ging zu Lindner, der gerade die kleine Aluminiumleiter herabließ, über die die Ankömmlinge an Bord kommen würden.
Das Boot kam heran, beschrieb eine Kurve, Wasser spritzte auf und glitzerte, eine Leine klatschte an Deck, der Motor blubberte noch einmal leise und erstarb.
Stefan beugte sich vor und streckte den Arm aus. Maria Lindner ergriff seine Hand, unter dem Rand des Hutes traf ihn ihr Blick.
»Da sind Sie ja, Doktor!«
»Ja, da bin ich.«
Ein leichtes, nichtssagendes Lächeln, wäre nicht ihr Blick gewesen … Stefan zog sie an Bord.
Er war plötzlich froh wegen der anderen Gäste.
»Stefan!« stellte Lindner vor. »Das ist Jean Amoros.«
Der schmale zierliche Mann vor ihm trug einen makellos gebügelten Leinenanzug und hatte eine Brille mit schwarzgefaßten runden Gläsern auf der scharf gebogenen Nase, die seinen dunklen Augen etwas Eulenhaftes verlieh.
»Und hier haben wir meinen neuen Schiffsarzt, Dr. Stefan Bergmann, direkt aus Deutschland importiert. Paß bloß auf jedes Wort auf, Stefan, das du zu Jean sagst. Er dreht es dir sofort im Mund herum – und nicht nur das, du kriegst auch gleich eine Abschrift davon, und die ist garantiert von vorn bis hinten gefälscht. Jean ist der gefährlichste Paragraphen-Akrobat der ganzen Côte.«
Er sagte es auf französisch, und Amoros grinste breit. Es schien ihm zu gefallen.
»Und nun, Stefan, ein noch schwereres Kaliber – die Russen. Dies ist mein Freund Borodin, Boris Borodin! Und der andere, der aussieht wie ein Student, Oleg Iljinsky – sein Assistent. Noch ein Anwalt. Die könnten hier eine Liga gründen.«
Der semmelblonde blasse Russe, den er Oleg nannte, nickte. Er hatte eines dieser Gesichter, die man sofort vergißt. Aber Borodin …
Schon die Umarmung der beiden Männer hatte etwas Exotisches: Borodin umfaßte mit muskulösen, behaarten Armen Lindners Hals, auf dem nackten Oberkörper trug er nichts als ein goldbesticktes Tatarenjäckchen. Die kurzen stämmigen Beine steckten in weiten knielangen Hosen. Einen Schuh, den linken, ein handgenähtes, sündhaft teures Stück aus Antilopenleder, verlor er bei seiner heftigen
Weitere Kostenlose Bücher