Der Hypnosearzt
…« Er holte Atem und fühlte dabei den Schlag seines Herzens. »Auch Sie werden es schwer begreifen, aber manchmal kommt man eben nicht daran vorbei, einen Entschluß zu fassen.«
»Entschluß? In meinen Augen ist das eher eine Kapitulation. Und ich habe Ihnen gesagt, wie sehr ich Sie brauche.«
»Genau das ist es, was mich so belastet. Und warum ich jetzt noch einmal anrufe. Ich werde Bella …«
»Stefan, es geht nicht um Bella. Oder nicht um Bella allein. Es geht um uns.«
»Um uns?«
»Ja. – Um Sie, mich – und auch um Thomas. Seien Sie doch nicht so schwer von Begriff.«
Seine Schläfen wurden heiß. Er spürte, wie der Schweiß über seinen Rücken rann und das Hemd auf der Haut festklebte. Und wieder einmal fragte er sich, was Maria ihm mit ihren Worten sagen wollte. Er hatte sich umgedreht, weil er den Anblick des Gewühls dort draußen nicht länger ertrug. Nun starrte er auf all die Telefonnummern, Herzen und obszönen Zeichnungen, die auf die Kabinenwand gekritzelt waren. Er schloß die Augen und verfluchte, daß es ihm nicht gelang, seine Ruhe wiederzufinden.
Doch wie?
»Maria«, sagte Stefan. »Ich bin ja nicht aus der Welt. Und ich werde deiner Freundin helfen. Ich werde sie gesund machen.«
Er war ins Du verfallen, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben. Nun korrigierte er sich hastig: »Sie kommen ja wieder nach Frankfurt. Nehmen Sie Ihre Freundin beim nächsten Mal mit – bitte.«
»Es geht nicht um Bella«, hörte er sie wieder sagen. Nun hatte ihre Stimme alle Kraft verloren; dünn klang sie, dünn und hilflos wie die eines Kindes. »Bleib, Stefan …«
»Maria, ich kann nicht anders. Nochmals: Bring Bella zu mir …«
Dann legte er auf.
Der Oktober war wunderschön geworden.
Der Hang vor dem Praxisfenster in der Heinrich-Heine-Straße erschien Stefan Bergmann wie ein einziges herbstliches Strahlen von Gelb und Rot. Er fühlte fast Bedauern, als er die Jalousien herunterließ, um seine nächste Patientin zu empfangen.
Es war kurz vor achtzehn Uhr. Anders als im Sommer hatte Bergmann die Hypnose-Therapie nicht nur um eine, sondern sogar um zwei Stunden vorverlegt. Dies war möglich, denn der Patientenandrang hatte in den Septemberwochen deutlich abgenommen.
Er mußte mit Christa über die Gründe reden.
Über so vieles mußte er mit Christa reden …
Stefan schaltete die Schreibtischlampe an. Lindners Geschenk, das Barock-Kästchen, fing das Licht der Lampe ein. Schon einige Male hatte Bergmann es wegstellen wollen, dorthin, wo es hingehörte, in irgendeinen Schrank zu all dem Trödel, den man aufbewahrt, weil man aus irgendwelchen Gründen es nicht über sich bringt, ihn wegzugeben. Doch jedesmal hatte ihn etwas daran gehindert. Etwas? Ein Gefühl von Verrat …
In den beiden vergangenen Monaten hatte Bergmann nichts von Lindner gehört. Einmal allerdings brachte der Postbote eine Sendung aus Saint-Michel. Sie bestand aus einer etwa dreißig Zentimeter langen Kartonröhre. Die Anschrift war mit der Maschine geschrieben, einen Absender gab es nicht, nur den Poststempel.
Stefans Herz klopfte, als er die Kartonröhre öffnete. Drei zusammengerollte Zeichenblätter befanden sich darin. Er hatte sie herausgezogen und auf dem Schreibtisch ausgebreitet. Es waren Kopien von Architekturplänen, und sie waren imponierend: Der Aufriß eines Gebäudekomplexes, einschließlich des ihn umgebenden Geländes. Dann der Eingang, die Nebengebäude, erster Stock, zweiter Stock – und die Fassaden.
Stefan hatte sich darübergebeugt, und sein Mund war trocken geworden.
Da lag nun alles vor ihm: ein von vier Säulen getragenes Vordach, große, dem Meer zugewandte Fenster im Erdgeschoß, im nächsten Stock Balkon an Balkon – die Patientenzimmer.
Auf jedem der Blätter war zu lesen: Clinique de Port Les Fleurs . Architecte : Walter Mousson .
Das war es.
Christa, die das Papprohr mit den Plänen gebracht hatte, stand schweigend neben ihrem Mann.
»Und jetzt?« hatte sie gefragt.
»Was jetzt?«
»Was machst du damit?«
Er hatte geschwiegen.
»Es gibt nur eines«, hatte sie gesagt. »Und ich helf dir dabei.« Sie hatte sich gebückt und den Papierkorb unter dem Schreibtisch hervorgezogen. »Hier – das ist der einzig mögliche Ort dafür …«
Es war etwas in ihrer Stimme gewesen, das Stefan noch nie gehört hatte. Nicht ihre übliche Ironie, keine Wut, aber eine von klarem und hartem Willen getragene Endgültigkeit.
Stefan hatte Christa angesehen und dann den Kopf
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