Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
rotem Binder, dazu den glänzenden schwarzen Überrock mit rotem Volant, Lackschuhe und weiße Socken. Auch die typische am Scheitel eingeschnittene, schwarze, halbmondförmige Haube fehlte nicht – ein schönes Bild, das zum Elsaß gehörte wie seine Fachwerkhäuser mit den bleiglasgeFassten Butzenscheiben, die Krautfelder oder langhalsigen Weinflaschen. Die Frau knickste und bekreuzigte sich, grüßte und bestieg ihren Wagen, auf dem ein Knecht Pfeife rauchte. Ich winkte ihr zu und hatte fast augenblicklich das Gefühl, ihr bald wiederzubegegnen.
Ich sollte mich nicht täuschen, und so unglaublich es klingt, die Geschichte, die dem Mann dieser Frau zugestoßen ist, half mir zu verstehen, was Marie-Thérèse Augenleiden ausgelöst hatte.
Endlich, das Gut. Durch einen freistehenden Torbogen rollte ich über die gepflasterte Auffahrt in den Hof des imposanten Fachwerk-Ansitzes derer von Oberkirch. Fremde Gesichter empfingen mich, freundlich, geschäftig, ein bisschen gleichgültig. Wie ich mich fühlte, so müssen jene Pariser empfinden, die zur Sommerfrische aufs Land fahren und sich wundern, dass die Landluft derart nach Stall und Scheune riechen kann, nach Räucherkammer, Äpfeln und frisch gesägtem Holz.
Man führte mich auf eines der Gästezimmer im zweiten Stock. In einer halben Stunde könne ich der Baronin meine Aufwartung machen.
»Sie wollen mit uns speisen, nicht wahr?«
»Ich bin so frei, davon auszugehen«, sagte ich etwas erstaunt. »Oder wünscht Frau Baronin insgeheim anderes?«
»Nein. Ich soll Sie lediglich darauf vorbereiten, dass Frau Baronin nicht allein an der Tafel sitzen wird. Sie mag Gesellschaft und speist mit dem Gutsvorsteher und seiner Frau, unserem Kellermeister, ihrer Vorleserin und dem Forstverwalter-Ehepaar. Auch meine Eltern sind zugegen.«
»Aha. Und wer sind Sie?«
»Madelaine Finkwiller.«
»Dann dürfte ich eigentlich du zu Ihnen sagen. Denn vor rund vierzehn Jahren, da waren Sie vier Jahre alt und haben meiner Schwester in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft oft einen Teller mit Obst gebracht. Wie geht es Ihrem Vater, dem dicken Albert, wie wir früher immer sagten?«
»Überzeugen Sie sich am besten selbst.«
Madelaine ging nicht weiter auf meine Vertrautheit ein, dafür war sie rot geworden. War sie vielleicht schwanger?
Nur nebenbei, sie war es. Dazu verlobt und ihr Zukünftiger, den sie Ostern heiraten würde, einer der reichsten Bauern der Gegend. Der dicke Albert und seine Frau waren im übrigen von allen Tafelgästen die einzigen Personen, die ich kannte. Er hatte sich in einen nur noch vollschlanken, irgendwie verzweifelt blickenden Lächler verwandelt, und sie glich mit ihren achtundfünfzig Jahren einer gebeugten Dulderin, die schmallippig geradeaus schaute und einen Rosenkranz durch ihre Finger gleiten ließ, während sie die Suppe löffelte. Obwohl Juliette und ich nach dem Tod unserer Mutter im Dezember 1806 eineinhalb Jahre bei ihnen unter dem Dach gelebt hatten und sie schnell Ersatzeltern für uns geworden waren, fragten sie jetzt nur unbeteiligt nach meinen gegenwärtigen Lebensumständen.
Allein die alte Baronin freute sich wirklich über meinen Besuch. Sie gab gewichtig kund, dass auch mein Vater für die französische Sache und Nation sein Leben geopfert hätte.
»War er auch Elsässer und also ein Freigeist, er stand zu Frankreich ohne ein Verräter der gottgewollten Ordnung zu sein. Für die Revolutionäre hatte er nur Verachtung übrig. In Hirsingen, Carspach und anderswo haben sie die Schlösser und Gutshäuser abgefackelt, Petrus’ Vater aber hat sich dem Mob, der auch unsere Leute aufwiegeln wollte, gegenübergestellt. Dank seines Muts haben wir nur eine Scheuer verloren. Sein Lohn war nach der Generalmobilmachung eine Karriere bei Napoleons Truppe. Bis zum Oberleutnant hat er es gebracht. Aber die Besten leben gefährlich. Ausgerechnet in der für Napoleon so glorreichen Dreikaiserschlacht bei Austerlitz musste er fallen, was seine gute Frau so mitnahm, dass sie ihm ein Jahr später im Dezember in den Himmel nachgeeilt ist.«
Ich seufzte bewegt und lächelte. Die alte Baronin hatte meinen Vater gemocht und nach Kräften protegiert. Im nachhinein glaube ich, wollte sie damit den Verlust ihres Sohnes kompensieren, der sein Leben schon bald nach der Generalmobilmachung des Jahres 1793 verloren hatte. Wie Frédéric, jener Kanonier, den ich nach Marie-Thérèses Konzert im Conservatoire eingeladen und hypnotisiert hatte, war auch
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