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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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erregt ihre Reize durch das Kleid hindurch betastete. Sie konnte und wollte sich nicht wehren, obwohl seine leidenschaftlichen Liebkosungen schon roh zu nennen waren. Enttäuscht spürte sie dann, wie er seinen Griff lockerte, aber da kam ihr glücklicherweise die Idee eines Spiels in den Sinn: Sie riss sich los und floh von Stuhl zu Stuhl. Er setzte ihr nach und da erst wurden beide so kindisch, dass sie sich auf der Chaiselongue wiederfanden und sich auf einen hitzigen Ringkampf einließen, an dessen Ende die lüsterne Musik sich küssender Lippen stand.’«
    »Mehr!« rief Madame Lully begeistert und bedachte Alphonse für dieses schmachtvolle Kabinettstück mit großem Applaus.
    »Ich könnte es«, antwortete er würdevoll. »Aber ich weiß um meine Verantwortung. Sehen Sie, Diavolo, Ihnen nachzueifern, das wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. Indem ich aber diese Kostprobe bot, werden Sie alle einsehen, wie wenig Achtung diese läppischen Romanschreiber verdienen. Sie strengen sich bestenfalls das Handgelenk an. Zu höherer praktischer Vernunft sind sie gar nicht fähig.«
    Alphonse sah auf einmal fürchterlich leidend aus. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass er wahrscheinlich viel lieber ein läppischer Romanschreiber wäre als Delikatessenhändler. Möglicherweise trank er deswegen?
    »Sie sind ein Künstler, Monsieur Lemaître«, sagte ich fest. »Das spüre ich, der ich auch so etwas wie ein Künstler bin.«
    »Danke. Diese Worte aus Ihrem Mund zu hören …«
    Alphonse war so gerührt, dass er erst einmal eine neue Flasche öffnete und Schnapsgläser ausgab. Alle tranken wir auf sein Wohl, auch Madame Lully hatte begriffen, wie es wohl wirklich um diesen Monsieur Lemaître stand.
    »Alphonse«, sagte ich sanft und legte ihm die Hand auf den Arm. »Vergessen Sie Diavolo und seine Artistik. Diavolo ist in Paris, Sie und ich sind hinter Nancy, und beide freuen wir uns heute abend auf das Souper im Schatten des Strasbourger Münsters.«
    Alphonse seufzte, blinzelte und rieb sich die Augen. Erstaunt erwiderte er meinen Blick und schüttelte schließlich selbstvergessen den Kopf. Es könne einem wirklich wunderlich werden auf diesen Chausseen, sagte er. Es schaukele, dass man sich zuweilen einbilde, auf einem Seil zu stehen.
    »Zum Wohl, Monsieur Cocquéreau.«
    »Zum Wohl.«
    Strasbourg! Das Münster! Seine Säulen, Türme, Schnörkel, die durchsichtig sind wie das Gerippe eines Blattes. Sein Turm ist nicht erdenschwer und die sechzehnblättrige Rose an der Westfront für mich ein Weltwunder. Turm und Rose, Stein und Glas - alles ist Menschenwerk und doch so wenig Fassbar wie wunderbar. Den Turm vom Münsterplatz aus nur halbwegs mit dem Auge erfassen zu wollen, ist hoffnungslos und führt entweder zu Schwindel oder dazu, sich abends den Hals mit Salbe einzureiben. Meistens zu beidem, was die Rache der Steinmetzen ist, die sich tot daran gearbeitet haben. Ihre Seelen, sagt man, spuken durch die Metzwerke und reiten auf dem Wind, der draußen um die Streben streicht und dafür sorgt, dass die einzigartige Glasrosette nicht verschmutzt. Gottes Licht, das sich darin bricht, ist erhabener als alle sakrale Kunst im Inneren. Als ich mich seit mehr als einem Dutzend Jahren wieder daran weidete, sprach ich mein erstes stilles Gebet, das ich mit den Worten schloss: Jetzt hab ich mich wieder ausgesöhnt mit dir, Amen.
    Ich nahm den nächstbesten Gasthof, speiste dort mit Alphonse und versprach, ihn in Paris zu besuchen. Nach einer zünftigen Brotzeit mit viel Bier, sank ich wie ein Stein in Schlaf und träumte das erste Mal wieder von sommerlichen Wanderungen am Rhein, Tannenspitzen und Elsasserditsch.
    Wie gut konnte ich es noch?
    Favorabel. Denn da ich gemeinnütziger Beförderungsmittel überdrüssig war, musste ich mir eine Fahrtgelegenheit mieten. Unter einem Zweispänner-Coupé wollte ich nicht aufs Gut, schließlich hatte ich es ja in gewisser Weise zu etwas gebracht, auch wenn es nur Geld war, das ich einer großzügigen Belohnung verdankte. Und was diese Reise und meine Erkundigungen im Mordfall Baron Ludwig Oberkirch betraf, hatte Kommissar Joffe mir einen angemessenen Spesensatz zugesichert.
    Während der Fahrt aufs Gut ordnete ich noch einmal alle Details, die bislang den „Fall Oberkirch“ kennzeichneten: Ludwig war mit einem Stilett umgebracht worden, seinem eigenen, mit dem er sich nach Aussage seines Dieners gerne die Fingernägel gesäubert hatte. Der tödliche Stich war von hinten geführt

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