Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Baron Oberkirch in Belgien bei Fleurus gegen Preußen und Österreicher gezogen. Als Oberstleutnant diente er im Nachrichtenstab General Jourdans und koordinierte die Befehlsstaffeln zwischen Front und Generalstab. Ein versprengter Trupp österreichischer Scharfschützen schoß ihn während eines Kurierritts vom Pferd.
Dies geschah im Juni 1794. Danach begannen die Monate und Jahre, in denen Abbé de Villers, der Stiefbruder der Baronin-Witwe, eine Rolle zu spielen begann. Noch im Herbst desselben Jahres, so wusste ich es aus den Erzählungen meiner Eltern, war der Abbé aufs Gut gekommen, um seiner schwangeren Stiefschwester beizustehen. Im Januar 1795 wurden Ludwig und Philipp geboren. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie der Abbé, seine Haushälterin und die Baronin eines Tages das Gut verließen. Wer nur irgend konnte, wollte sich persönlich verabschieden. Es herrschte Kirchweih-Stimmung, und Pferde und Wagen wurden eigens für die Reise mit Blumen geschmückt. Mein Vater trug mich und hatte meine Schwester an der Hand. Beide winkten wir der Kutsche mit Birkenreisern hinterher. Wohin die Reise der Herrschaft ging, hatte ich vergessen, vielleicht war aber auch gar nicht darüber gesprochen worden.
Frag die Baronin, entschied ich. Deswegen bist du ja hier.
Den Rest des Abends schlüpfte ich in die Rolle des Alleinunterhalters. Das Thema: Pariser Klatsch. Immerhin, irgendwann begann ich mich zu wundern. Denn keiner drängte mich, von meinen Abenteuern zu erzählen – die simple Erklärung dafür war, dass bis auf die Baronin, der ich zuvor ausführlich geschrieben hatte, niemand um meine hypnotische Gabe wusste. Außerdem war ein in Paris so buntes Persönchen wie La Belle Fontanon den Menschen hier so unbekannt wie den Parisern Städtchen und Dörfer wie Ehn- oder Meistratzheim.
»Was sagt ihr, wenn ich euch sage: Petrus kann zaubern?«
Ungläubiges Gemurmel erklang und Annche, Rudolfs Frau, bekreuzigte sich schnell. So fromm hatte ich sie nicht in Erinnerung, aber nach wie vor schien es eine Gesetzmäßigkeit zu sein, dass auf dem Land die Frauen im Alter bigott wurden. Wir saßen im großen Salon des Gutshauses, ein Saal, der einem Rittersaal würdig war. Er war seit damals unverändert. Rechts und links wachten zwei Puppen in Ritterrüstungen über den Salon, der mit Ahnenportäts und mittelprächtigen Landschaftsbildern der Vogesen geschmückt war. Von der Decke hingen drei böhmische Kristallüster, von denen einer die Sitzgelegenheiten beleuchtete, die von drei bestickten Paravents gegen den Rest des Saales abgeschirmt waren. Wir saßen vor dem offenen Kamin beim Wein, einem intensiven Gewürztraminer, den die Oberkirchs seit jeher, so die Baronin, bei besonderen Anlässen ausschenkten.
»Er kann zaubern, ja«, pflichtete Annches Mann, der ehemals dicke Albert, der Baronin bei. »Früher verstand er es, sich immer unsichtbar zu machen, wenn´s ans Heuen ging.«
Trotz des Scherzes blieb die Stimmung eher lau. Der Klatsch war erzählt, und man wollte mich nicht mit Gutsgeschichten behelligen. Notgedrungen umriss ich meine Art der Zauberei, was zum Glück dann doch auf Interesse stieß. Von Cagliostro bis Mesmer, dem Marquis des Puységur, seinen Schülern bis Professor Würtz – Strasbourg war einst Zentrum aller möglichen Magnetiseure und Heiler, von denen Cagliostro der berühmteste und gleichzeitig größte Scharlatan war. Ich erzählte von meinem alten Kollegen Adrien Tissot, den Zuständen in Charenton, der Rettung La Belle Fontanons und wurde prompt vergattert, meine Kräfte an einem unglücklichen Ehnheimer Bauern zu erproben, der plötzlich blind geworden sei.
»Ach«, sagte ich, »seine Frau habe ich schon kennengelernt. Sie kleidet sich in Tracht, nicht wahr? Und betet gelegentlich vor dem Bildstock der Heiligen Odilia?«
Raunen, Staunen. Ich hatte ins Schwarze getroffen. Von da ab wurde die Stimmung gemütlich. Als ich zu Bett gehen wollte, war ich heiser. Mein Kopf war schwer vom Wein, mein Gemüt nichtsdestotrotz voller Unruhe. Erstens sehnte ich mich nach Marie-Thérèse, zweitens war zwischenzeitlich Post eingetroffen. Absender: Paris, Conciergerie, Polizeikommissariat. Albert Joffe teilte mir mit, der Hausarrest von Abbé de Villers und Philippe Oberkirch sei aufgehoben, der Anschlag auf mich geklärt.
Auf der Bettkante sitzend, starrte ich auf die Zeilen, den Mund offen, in den Ohren ein Rauschen. Angetrunken wie ich war, gingen Gefühle und Bilder durcheinander – mal
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