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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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aushalten? Ich begann zu zählen, biß mir auf die Lippen, bekam zusehends ein schlechtes Gewissen. Aber ich brachte den Mund nicht auf. Fasziniert und abgestoßen zugleich ließ ich diesen Kraftakt zu und redete mir irgendwann sogar ein, dass Jules sich bestimmt über den hohen Lohn freuen werde.
    Irgendwann wurde er langsamer, doch da waren wir bereits in der Rue de Bretagne. Jules keuchte. Sein Gesicht war wie gemeißelt. Die dunklen Augen stachen auf mich ein, seine Lippen bebten. Dann hielt er die Hand auf und sagte rauh und stolz: »Das Zehnfache.«
    Das war der Auftakt. Was folgte, geschah mit zehnfacher Geschwindigkeit und Intensität. Die Hybris von Jules’ Lauf fand ihre Fortsetzung in Marie-Thérèse wortlosen Umarmungen und leidenschaftlichen Küssen. Wir gehorchten allein den Forderungen unserer Leiber, die wie zwei Nußschalen in einem Sturm auf und nieder tanzten. Jeder wollte in diesen Minuten den anderen ganz für sich haben: egoistisch, aber auf den anderen lauschend, zärtlich, hemmungslos.
    »Wird dies jemals eine Fortsetzung finden?«
    Es war beunruhigend, dass sie nicht sofort antwortete. Sie hatte sich in meine Armbeuge gekuschelt, ihr Haar kitzelte mir die Nase. Ihr Leib lag ruhig, ihr Atem war tief und gleichmäßig. Noch einmal flüsterte ich meine Frage in ihr Haar, wartete, begann zu lächeln und innerlich zu frohlocken: Wie sollte sie antworten! Marie-Thérèse war eingeschlafen.
    Eine gute Stunde später war noch jemand anders eingeschlafen: Abbé de Villers. Marie-Thérèse stand mit mir an seinem Bett, verstört, besorgt. Ihre Blicke wanderten von ihm zu mir und wieder zurück. Die leidenschaftliche Liebhaberin hatte sich in ein verunsichertes Mädchen verwandelt, das mit den Tränen kämpfte. Ihre Lippen zitterten, und ihre Augen waren ein leeres Feld, über das die Angst zog.
    Da der Comte in Sachen „Immobilien-Geschäften“ noch auf Reisen war, die ihn und Bankier Boissieu bis in die Provence führten, hatten wir uns beide Hippolytes Verfügungsgewalt zu beugen – was bedeutete, dass er uns nach einem Viertelstündchen stummen Schauens wie störende Insekten aus dem dämmrigen Schlafzimmer des Abbés scheuchte.
    »Hippolyte, Sie meinen es gut«, sagte ich vorsichtig, »aber Fieber kann man nicht wegräuchern. Das ist mittlerweile bewiesen. Ich weiß, Weihrauch und Wacholder stehen von Alters her im Ruf, schädliche Miasmen zu bekämpfen, aber zuviel Rauch reizt die Schleimwege und führt zu Reizhusten. Sie würden größeren Erfolg haben, wenn sie ordentlich lüfteten und dem Abbé eine Duftlampe auf das Nachtschränkchen stellten. Nelkenöl oder das vom Thymian, vor allem aber Eukalyptusöl werden als wohltuend empfunden.«
    »Abbé de Villers selbst wünschte sich Räucherwerk«, antwortete Hippolyte. »Im übrigen sollte man Sterbenden keinen Wunsch versagen.«
    »Sie sind ein Ungeheuer, Hippolyte!«
    »Ich gebe nur wieder, was der Abbé mir heute morgen ins Ohr geflüstert hat, Mademoiselle Marie-Thérèse.«
    Ein maliziöses Lächeln spielte um seinen Mund. Er verbeugte sich und ließ uns einfach stehen. Er wird nicht mehr lange Lakai sein, hörte ich Jules sagen, aber in diesem Moment erschien mir diese Prophezeiung nur noch als dumme Aufschneiderei. Hippolyte gehörte zu der Sorte von Mensch, die stabil alterten und dabei immer zäher und widerstandsfähiger werden. Los wurde man sie nur, wenn man ihnen das nahm, wofür sie lebten: ihren Herrn.
    »Wahrscheinlich hat er uns belauscht«, sagte ich spöttisch und zog Marie-Thérèse an mich. »Aber ich kann dich beruhigen: Deinem Onkel geht es zwar schlecht, aber er liegt nicht im Sterben.«
    Marie-Thérèse seufzte, nickte. Ich dagegen schickte ein Stoßgebet gen Himmel und bat Gott, mir zu verzeihen. Denn wenn eines sicher war, dann dies: Abbé de Villers würde nicht mehr auf die Beine kommen. Ich erinnerte mich an die phantasievolle Allegorie Madame Bonets, in der sie sich den Tod als eine Art Schatten vorstellte, mit dem jeder Mensch von Geburt an über eine unsichtbare Leine verbunden sei. Danach hatte Freund Hein nun den Auftrag bekommen, Abbé de Villers aus der Welt zu tragen. Bis auf wenige Armlängen war er an ihn herangetreten, hatte dessen Leine so gut wie aufgewickelt.
    Mich erschütterte dies wenig, stattdessen wurde mir bewußt, dass mir die Zeit davonlief, den Abbé, was Juliette betraf, zur Rede zu stellen. Denn so rauschhaft Marie-Thérèse und ich unser Wiedersehen auch begangen hatten, ich hatte mich

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