Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
das?«
»Ja.«
»Woher wusstest du eigentlich, dass es Brüder waren?«
Marie-Thérèse schwieg. Ich sagte ihr, dass ich sie nun in die Arme nehmen und wir die letzten Schritte gemeinsam gehen würden. Sie nickte, begann aber zu weinen. Ich küsste sie, streichelte ihr übers Haar und ließ sie sich erst einmal ausruhen. Dann gab ich preis, dass Juliette mir in den Wehen erzählt hatte, dass auch ich sie als kleiner Junge habe heiraten wollen. Sie beruhigte sich, dann jedoch bat sie mich, die Hypnose abzubrechen.
»Die beiden Jungen waren Zwillingsbrüder, nicht wahr?«
»Ja, doch ich darf ihre Namen nicht sagen …«
»Was würde das ändern? Oder glaubst du, ich würde unser Geheimnis verraten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Ludwig geküßt. Philippe aber war es, der angefangen hat.«
Sprach ich vorhin davon, dass Marie-Thérèse nach diesem Nachmittag für mich nicht mehr dieselbe war wie zuvor, mag dies ein bisschen übertrieben klingen. Doch die schlichte Tatsache, dass sie ihren Bruder zum Abendessen erwartete und sich vor ein paar Monaten mit dessen Zwillingsbruder eingelassen hatte, machte es mir unmöglich, mich nach außen hin als neuer Mann an ihrer Seite zu geben. Auch sie unternahm nichts, was Philippe zu entsprechenden Schlüssen hätte veranlassen müssen. Im Gegenteil, Marie-Thérèse benahm sich ihm gegenüber so zutraulich, dass sie seine Hoffnungen nur neu schürte. Schon wie sie ihn empfing: strahlend, jubelnd, als hätte sie ihn ganze Jahre nicht gesehen. Er trat in den Salon, und wie gestochen sprang sie von der Chaiselongue: „Philippe! Endlich!“ Wie ein Fisch wand sie sich in seinen ausgebreiteten Armen und girrte so süß, als er sie küsste, dass mir der Mund trocken wurde. Jeder andere Mann wäre eifersüchtig geworden und hätte sofort eine Szene gemacht. Ich dagegen stand bescheiden abseits, ein Glas Champagner in der Hand, und präsentierte Philippe die weise Miene des über alle Leidenschaften erhabenen Mannes. Ich war nur drei Jahre älter als die Oberkirch-Zwillinge, in diesem Augenblick aber fühlte ich mich Philippe gegenüber wie ein bereits in Ehren ergrauter Arzt.
Fast tat es mir leid um ihn, als ich seine triumphierenden Augen sah, dann aber gönnte ich mir doch ein wenig Schadenfreude. Trotzdem muss ich wie ein Buddha auf ihn gewirkt haben, denn er umarmte mich arglos und herzlich. Sogar ein Mitbringsel hatte er für mich: erstklassigen Tee aus dem Himalaya, eine erste Ernste, die ich unbedingt probieren müsse, weil sie, wie er sich ausdrückte, den Geist von Schlacken befreie und einem vor Augen führe: Du musst handeln, denn allein das ist das Gesetz des Lebens.
»Dies sagt der Schokoladenliebhaber? Ich dachte immer, jene tendierten zum Luxus, zum schönen Schein, und seien Befürworter des gepflegten katholischen Savoir-vivre? Tee und Kaffee dagegen sind protestantische Getränke. Sie gehören ins Bureau und trösten die Gelehrten, wenn sie zu wenig Wein vertragen. Willst du deine Geschmeidigkeit und Fröhlichkeit an den Nagel hängen und dir den Rock der Pedanten anziehen?«
»Was du nicht alles weisst, Herr Doktor! Erzähl mir lieber was über meine Großmutter. Ich würde gerne wissen, wie lange sie noch die Kraft hat, das Gut zu leiten. Solange möchte ich hier noch, in deinem Sinn des Worts, gut katholisch meine Zeit nutzen, mein Guter.«
»Und das heisst?«
»Liegen und lieben und das mit der einzigen richtigen Frau.«
Er lachte. Ich lachte. Und Marie-Thérèse auch.
Sie spielte mit dem Feuer.
»Wer die einzige richtige Frau wohl werden wird?« fragte sie leichtfertig, tänzelte an mir vorbei und schnippte mir, ohne dass Philippe es merkte, gegen die Hand.
»Du weisst es längst …«
»Ich weiß es nicht …«
Ich räusperte mich, schüttelte betont auffällig den Kopf und setzte eine bewußt oberlehrerhafte Miene auf.
»Ja, ich habe verstanden. Es ist gegen den comme il faut.«
»Und mein Onkel ist sehr krank …«
Philippe nickte langsam, sagte kein Wort, aber auf seinem Gesicht malte sich eine Zufriedenheit, als wisse er darum, dass der Abbé ihm bald keine Schwierigkeiten mehr machen würde.
So launisch die Begrüßung war, so manierlich verlief der Rest des Abends. Wir speisten, daraufhin begann Marie-Thérèse zu spielen: Es war eher ein belangloses Klimpern und diente nur dazu, die Zeit herum zu bringen - ein einziger Augenaufschlag und ein kurzes schelmisches Lächeln machten mir dies deutlich. Ich war erleichtert, doch auch
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