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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Grasbüschels abzuwischen. Naserümpfend bat ich ihn, meine Wohnung um Himmels willen nicht zu betreten, auch wenn der Koffer groß sei und ich erschöpft.
    »Ins Schafzimmer schaff ich ihn allein.«
    »Da liegt wohl ein guter Teppich, wie?«
    Der Kerl wollte sich ausschütten vor Lachen, während ich schnüffelnd den Koffer ins Schlafzimmer zog. Er war sauber. Aber am Boden verklebt. Harz verklebt. Paßt zum Gewürztraminer, dachte ich, den die Baronin mir zum Abschied geschenkt hatte. Sechs Flaschen.
    Ich zahlte den Träger aus, brachte ihm sogar ein Glas Wein – aus der offenen Flasche von vor der Reise.
    »Der läuft aber runter«, machte er mir das Kompliment.
    »Trinken ist auch leichter als schleppen.«
    »Und Harz besser als Hundekot.« Der Kerl war gutmütig. Dann machte er mich darauf aufmerksam, dass höchstwahrscheinlich ein Brief unter meinem Koffer klebe: »Lag unter der Tür. Sie sind erst draufgetrampelt, dann haben Sie den Koffer drauf abgestellt.«
    Der Kerl hatte recht. Hätte er mich nicht darauf aufmerksam gemacht, wäre mir Madame Berchods Abschiedsbrief bestimmt erst anläßlich der nächsten Reise in die Hände gefallen.
    Ihr Abschiedsbrief.
    Er war nur wenige Zeilen lang, sauber geschrieben und selbstbewußt, geradezu hochmütig formuliert. Spitzfindig schrieb Madame, die Anleitung zur Ausführung ihres Entschlusses habe sie zwar bei mir erfragt, aber ich solle mir nicht einbilden, dieses Wissen als mein Privat-Eigentum betrachten zu können: „Sie haben die Methode nicht erfunden und verfügen über sie nur darum, weil sie der medizinischen Zunft angehören. Ich hätte sonst einen anderen Weg gewählt. Dies versichere ich Ihnen!“ Natürlich trösteten mich diese Worte keinen Deut. Noch heute bin ich aufgebracht, dass Madame Berchod mir diese Anleitung zum Sterben entlockt und mich zu ihrem Werkzeug gemacht hat. Nimmermehr bräuchte ich ein schlechtes Gewissen haben, wiederholte sie sich, um dann zynisch und brutal hinzuzufügen: „Lieben Sie richtig, Monsieur Cocquéreau! Lieben Sie bedingungslos, vorurteilslos und mit aller Leidenschaft! Sonst berauben Sie Marie-Thérèse um den Sommer und Herbst des Lebens.“ Lakonisch dankte sie mir zum Schluß für „unseren so köstlich farbigen Tag“. Das war´s. Mehr Worte hatte Madame Berchod nicht machen wollen – vom Postskriptum abgesehen: „Wie töricht von mir! Aber ich hätte gerne noch mit Ihnen geschlafen.“
    Hippolyte hatte sich dazu bequemen müssen, mir Marie-Thérèses Rückkehr persönlich zu melden. Ich zögerte keine Sekunde - soll heißen, ich warf mir einfach nur den Mantel über die Schulter, ohne mich um den Rest meiner Garderobe zu kümmern. Empört kräuselte Hippolyte den Mund, wollte etwas sagen, verkniff es sich aber im letzten Augenblick.
    Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in die Rue de Bretagne. Mir war nicht zum Reden zumute, und Hippolyte hielt es ohnehin nter seiner Würde, mir eine Konversation aufzudrängen. Schließlich fragte ich, was es Neues in der Stadt gebe.
    »Im Jardin des Plantes entdeckte man die Reste eines Pflegers. Er wurde von meinem Lieblingseisbär gefressen.«
    »Sie interessieren sich für Tiere?«
    »Nur für Eisbären. Weil sie nicht schmutzig sind.«
    »Ich verstehe. Aber nehmen wir doch die Charette«, sagte ich und grüßte ihren Eigentümer, der kein anderer war als der Kerl mit den besagten schmutzigen Stiefeln. »Wissen Sie Hippolyte, er läuft so schnell wie ein Pferd. Und warum?« Ich zwinkerte unserem Charetteur heftig zu, verzog den Mund und sah demonstrativ auf seine Stiefel. Lauthals wiederholte ich meine Frage: »Und warum läuft er so schnell wie ein Pferd?«
    »Weil er Hundekot an den Sohlen hat und dem Duft entfliehen will.«
    Jules, so hieß der Charreteur, und ich lachten wie auf Kommando: hysterisch, gemein, wie zwei aufeinander eingespielte Halunken. Hippolyte befahl, anzuhalten. Wortlos stieg er aus, würdigte mich keines weiteren Blickes.
    »Wer war das, Monsieur?«
    »Ein Lakai.«
    »Er wird nicht mehr lange Lakai sein.«
    »Warum? Können Sie hellsehen?«
    »Ja und nein – aber das mit dem, das hab ich irgendwie im Urin.«
    »Schaffen Sie es, zwanzig Minuten schneller zu sein? Dann zahle ich das Zehnfache.«
    »Aber sicher.«
    Jules begann zu laufen. Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen. Alles war unwirklich. Ein Mensch rannte mit Charette und Fahrgast durch die Straßen, als habe man ihm mit der Peitsche gedroht. Wie lange konnte Jules diese Tempo

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