Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
längst soweit in all die vielen Rätsel versponnen, dass ich sie unbedingt lösen wollte, bevor …
Bevor was?
Gab es für uns beide denn eine Zukunft?
Schon, hätte Marie-Thérèse mir damals geantwortet. Aber so, wie du sie dir vorstellst oder erhoffst, wird sie höchstwahrscheinlich nicht werden.
Der Nachmittag gehörte uns. Oder mir? Marie-Thérèse hatte Philippe für den Abend eingeladen, was mich zwar verdroß, aber nicht überraschte. Ich ging davon aus, dass sie ihm, was unsere Beziehung betraf, reinen Wein einschenken wollte, dies aber bedeutete nicht, dass mich Triumphgefühle bewegten. Andererseits kann ich jedem versichern, dass ich mich vor möglichen Unbeherrschtheiten Philipps nicht fürchtete und sowohl verbalen als auch handgreiflichen Auseinandersetzungen gelassen entgegensah. Mehr noch, großzügig, wie ich mich wähnte, war ich sogar geneigt, Philippe, was auch passieren würde, zu entschuldigen. Doch als er sich schließlich blicken ließ, war Marie-Thérèse für mich schon nicht mehr dieselbe wie zuvor.
»Du musst dich entspannen und dir bis in die Fingerspitzen klarmachen, dass ich dich zwar in Trance versetzen möchte, du den Rapport aber jederzeit kraft deines Willens unterbrechen kannst.«
»Ich bin entspannt.«
»Du würdest mich demütigen, wärst du es nicht.«
Ich beugte mich vor und hauchte Marie-Thérèse einen Kuß auf die Wange. Wieder hatten wir aneinander Gefallen gefunden, um es vornehm auszudrücken, nun stand uns der Sinn nach anderer Beschäftigung. Halb im Ernst, halb im Scherz hatte ich Marie-Thérèse gefragt, ob sie sich vorstellen könne, in Hypnose zu lieben. Nein, davon wollte sie nichts wissen. Dafür aber wäre sie jetzt aufgelegt, sich einmal, ähnlich wie „meine“ Marie Bonet, neu zu erfahren. Ich spürte, es war mehr Laune als fester Wille, entsprungen aus der Trägheit nach genossener Wollust. Außerdem bezweifelte Marie-Thérèse ohnehin, ob ich bei ihr diesbezüglich dieselben Erfolge verbuchen konnte wie als Liebhaber. Ihre Skepsis beruhte auf den Einflüsterungen ihres „Onkels“, der meine suggestiv-hypnotische Potenz zwar nicht bestritt, ihr aber eingeredet hatte, es sei unmöglich, eine schwer sehgestörte Musikerin in Trance versetzen zu können.
»Dein Onkel ist auf seine Art selbst ein Meister der Hypnose«, entgegnete ich. »Wenn ich daran denke, dass ich es ihm zuzuschreiben habe, meine Gabe gleichsam über ein Jahrzehnt lang vernachlässigt, wenn nicht gar verdrängt zu haben, dann wundert es mich nicht, wie du jetzt darüber denkst.«
»Weshalb du dich jetzt anschickst, den Gegenbeweis zu erbringen. Ich habe fast das Gefühl, dir geht es mehr darum, gegen den Abbé recht zu behalten, als mir zu helfen. Oder milder ausgedrückt: Du möchtest mir zwar helfen, dass ich wieder gut sehe, aber genauso wichtig ist dir, meinen sogenannten Onkel zu überzeugen. Du willst gegen ihn siegen, weil du ihm einfach immer noch nicht verzeihen kannst, was er deiner Schwester angetan hat. Dein Herz will sagen: Endlich ist die Waage im Lot. Auf der einen Waagschale finden sich dein und Juliettes Leid, auf der anderen eine sehende Marie-Thérèse. Deshalb ist es dir auch so wichtig, dass ich mich rückhaltlos zu dir bekenne. Sonst nämlich findet in deinem Herzen die Waage nicht ins Lot. Voilá – versuch dein Glück!«
Ich durfte sie noch einmal küssen, darauf ließ sie sich in die Kissen fallen, die ich so zurechtgelegt hatte, dass sie ihren Oberkörper stützten. Am Kopfteil des Himmelbettes lehnend, nackt, lächelnd, mit großen, erwartungsvollen Augen wirkte sie wie eine Göttin. Ich war wie verzaubert. Marie-Thérèses Schönheit machte mich stumm. Das Blut rauschte in meinen Ohren, und auf einmal konnte ich es nicht mehr fassen, diesen Leib tatsächlich genossen zu haben. Noch weniger konnte ich mir vorstellen, dass mir das Glück beschieden sein sollte, dieses Geschöpf in der Zukunft als das meinige bezeichnen zu dürfen.
Was für ein törichter Gedanke, sie jetzt hypnotisieren zu wollen, dachte ich. Es ist Hybris. Du hast sie zu lieben. Liebe sie! Koste sie! Raube sie! Und laß dabei jede Faser deines Leibes lernen, damit du dir einen Vorrat sammelst für magere Zeiten.
Doch statt meine Lippen über ihren Leib zu schicken, zog ich die Bettdecke über sie. Gleichzeitig begann ich sanft auf sie einzureden und bat sie, sich vorzustellen, langsam vom Strand aus ins Meer zu gehen.
»Schau mich an und denke, dort, wo meine Augen sind, siehst du
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