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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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dunkler werdenden Flächen.«
    »Verzeihung, Mademoiselle, ich hatte keine Ahnung …«
    »Damit befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Bislang wusste ich meine Behinderung geschickt zu kaschieren. Allmählich jedoch werde ich dessen müde. Doch lassen Sie mich ein Porträt von Ihnen zeichnen. Dann wissen Sie, wie Sie auf mich wirken.«
    »Zeichnen?«
    »Ist fast dasselbe wie hören.«
    Anmutig neigte Marie-Thérèse den Kopf und schritt sicher auf den Érard-Flügel zu, das Herzstück des Oberkirchschen Salons. Schon als die ersten Töne erklangen, nickte ich und dachte: Mademoiselle, jetzt verstehe ich, warum Sie so berühmt sind. Sie können mit ihrem Spiel Licht und Schatten beschwören und treffen die Gefühle besser als ein Maler. Diesem Spiel zu lauschen war herrlich. Irgendwann ergriff mich unweigerlich das Gefühl, einen Verlust zu erleiden, müßte ich in Zukunft auf diese Kunst verzichten.
    Was wusste ich von Marie-Thérèse? Auch nur das, was in den Zeitungen über sie geschrieben wurde. Sie sollte vierundzwanzig Jahre alt sein und hatte vor vier Jahren ihr spätes, aber um so fulminanteres Debüt in Strasbourg gegeben. Begleitet wurde sie auf ihren Konzertreisen von einem höchst eifersüchtigen Onkel. Der sei in Wahrheit jedoch kein Privatgelehrter, sondern ein exkommunizierter Abbé. Außerdem, raunten die Blätter, beute er das Talent der schönen Marie-Thérèse aus, weil er Spielschulden habe und Schweigegeld an Kokotten zahlen müsse.
    Welch lächerliche und unbewiesene Klatschgeschichten!
    Sicher – Marie-Thérèses Impresario umgab sie und sich mit dem Nimbus des Geheimnisvollen, aber das doch auch nur, weil es besser für Geschäft und Karriere war. Mir wurde einmal mehr bewußt, wie unwesentlich die Meinungen und Hirngespinste anderer wurden, wenn man plötzlich mit der Wirklichkeit konfrontiert wird.
    Das Bild, das ich mir, wie so viele andere auch, erschaffen hatte, zerbrach an Marie-Thérèses Schönheit, ihrem Auftreten, ihrer Ausstrahlung und ihrem Klavierspiel. Sie ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie wir täglich den Suggestionen fremder Einflüsterungen ausgesetzt sind, dachte ich, Suggestionen, denen wir bereitwillig folgen, nur weil sie von Zeitungen und Journalen gestreut werden. In Wahrheit sind wir nichts als Tunnelwesen. Wir bewegen uns, jeder für sich und manchmal mit anderen, durch ein Labyrinth von Schächten. Immer sehen wir nur das Licht, das durch unseren Schacht fällt – Licht, das uns dazu bringt, dass wir lieben können aber auch töten, begrenztes Licht, das unsere Urteile und Gefühle steuert. Was gut, was schlecht ist, wir werden es nie wissen. Weil wir nicht heraus können aus unserem Tunnel.
    Ich ließ mich nur zu gerne von Marie-Thérèses Improvisation bannen. Für ein paar Augenblicke gelang es ihr, mich aus dem Lauf der Zeit zu heben, ja, sie brachte es mit ihrem Spiel fertig, den klassizistisch eingerichteten Salon in eine heimelige Höhle zu verwandeln, in der die Töne mir die Seele wärmten wie ein Kaminfeuer klamme Hände. Irgendwann jedoch verflüchtigte sich diese musikalische Wärme, und ich spürte, wie Einsamkeit und Depression von mir Besitz nahmen.
    Ja, das ist ein Teil von mir, sagte mein Herz, nein, so weich und zerrissen darfst du nicht sein, soufflierte mir mein Verstand.
    Die Akkorde waren herb, die Motive und Themen, die mich zeichneten, mehr rätselhaft als wohlklingend. Wirke ich tatsächlich so? fragte ich mich ein ums andere Mal. Wird diese Klangwelt mir gerecht? Oder ist das alles nur die Laune einer schönen hochbegabten jungen Frau? Was treibt sie um? Weshalb glaubt sie überhaupt, einen Charakter in Tönen malen zu können?
    Ein dissonanter Akkord schloss das musikalische Porträt ab. Absicht? Oder nur einfaches Vergreifen?
    Marie-Thérèse schaute in meine Richtung und lauschte ihrer Improvisation nach, indem sie die Rechte ein wenig hob und den Zeigefinger ausstreckte. Ihr glatte Stirn kräuselte sich, dann aber lächelte sie und nickte.
    »Nun, wie gefällt dir dein Porträt?«
    Ludwig trat hinter Marie-Thérèse und küsste ihr seidiges brünettes Haar.
    »Ich bekenne, ich bin wie verwundet. Ich hörte Wahrheiten, die ich vor mir herschiebe und am liebsten verbannen würde. Deute ich die Dissonanz am Schluß richtig, Marie-Thérèse, dass Sie damit auf die Katastrophe der Familie Soulé anspielen, in die ich so unglücklich involviert bin?«
    »Auch, aber was ich mit meinem Spiel anstrebte, ist mehr Ausdruck der Empfindung

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