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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Röcheln der reinen Folter - da ging der Abbé.
    „Dann bleibe ungetröstet, Juliette. Gott mag Hurenmädchen bisweilen vergeben, seine Kirche darf es nicht.“
    »Bravo! Da capo!«
    Der Flügel war verstummt. Die Begeisterung drängte meine Erinnerungen zurück und begrub den monströsen Satz des Abbé. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, begann zu applaudieren. Die Luft war schlecht, ich hatte Durst. Aber es war ein Trost, wieder die Gegenwart zu fühlen, die Hände zu spüren und dabei zu sich selbst zu finden. Langsam schaute ich zu Abbé de Villers und legte den Finger auf den Mund. Philippe verstand und nickte. Verschlagen schaute er mich durch den Rosenstrauß an, begann mitleidig zu lächeln.
    Das zerknüllte Programm in der Faust, verließ ich die Künstlergarderobe und war der erste, der dem Conservatoire den Rücken kehrte. Es tat mir leid um Marie-Thérèse, aber ich konnte sie jetzt nicht beglückwünschen. Alles andere, glaubte ich, wäre Verrat an Juliette.

10.
    Wie gut, dass Gott daran gedacht hatte, neben dem Tag auch die Nacht zu erschaffen! Ich breitete die Arme aus, um die neblige Schwärze der Straßen einzufangen, hoffte darauf, die Dunhelheit in meinen Mantel einschließen zu können. Nur außerhalb des Lichts schien es mir möglich, meinen Frieden wiederzufinden.
    Wohin? Was anfangen? Wie groß war der Schock, Abbé de Villers wiederbegegnet zu sein? Trotzig lenkte ich meine Schritte auf die Champs-Élysees, machte jedoch bald kehrt, um auf der Rue de Rivoli zur Ruhe zu kommen. Plötzlich zog mich der Flitter der Schaufenster an. Soll sie doch Beethoven-Sonaten oder Mozart-Variationen poltern, dachte ich, die Technokraten haben recht. Das Theater, sagen sie, gehöre zu den notwendigen Übeln wie der Krieg, die Prostituierten und der Schnaps, Konzerte aber müsse man zu den unnötigen Übeln wie Krankheiten, leere Geldbörsen und die Diener der Kirche rechnen.
    Prompt bekam ich einen fauligen Geruch in die Nase: Gas entströmte zwei nicht funktionierenden Laternen und stank so widerwärtig, dass mir übel wurde. Wer soll hier flanieren? dachte ich ärgerlich. Erfolgreich wehrte die Nacht auch in der Rue de Rivoli dem Licht, das so schwach war, dass ich kaum die Schuhspitzen sah. Dabei standen die Laternen hier so dicht, wie nur noch an wenigen anderen Plätzen der Stadt. Trotzdem kam es einem vor, sie seien nur Positionslichter. Ihr schwacher Schein taugte nur dazu, einzelne kahle Äste zu beleuchten.
    Es war Zeit, sich in einem Café aufzuwärmen. Die Kälte des Pflasters drang mir bereits durch die Schuhsohlen.
    »Das ist die neue Zeit, wie? Da ham wir nun Gaslaternen, aber ebensogut hätten wir Glühwürmchen an die Bäume festbinden können, wie? Drum machen Sie mir doch `nen Gefallen, bitte, Monsieur, und verraten Sie mir den Preis von diesem roten Kleid. Ich kann´s nicht mehr lesen.«
    »Mit Vergnügen. Das hübsche Stück kostet genau einen Franc weniger als fünfhundert.«
    »Is nicht wahr. Zum Henker, dann kost` der Plunder, auch wenn er meiner Sophie gut anstünde, ziemlich genau fünfmal soviel, wie ich Rente im Monat hab.«
    Der Mann im blauen Überrock und den weißen Soldatenhosen, ein Kriegsveteran, sog an der erkalteten Pfeife und neigte noch einmal den Kopf, um sich die rotsamtene Pracht anzuschauen. Das Kleid floß über einen zerschlissenen goldenen Louis-Quinze-Sessel, dessen Lehne von einer Krone beherrscht wurde. Wo die Taille war, lag ein weißer Pelzmuff, darüber lehnte mit einem protzigen F am Ende das schwarze Schildchen mit einer vier und zwei Neunen. »Wenn so `ne, die das Geld hat, sich das kauft, sagen Sie, fühlt die sich dann eigentlich genau so glücklich, wie wenn meine Sophie `ne neue Tracht kriegt, mit der sie auch sonntags in die Kirche geht?«
    »Ich kann´s Ihnen nicht sagen, Monsieur.«
    Ungeduldig trat ich von einem Bein aufs andere. Wenn ich nicht gleich etwas Heißes in den Bauch bekam, würde ich Koliken bekommen. Da ich aber nicht unhöflich sein wollte, schlug ich kurz entschlossen vor, sich auf ein Glas Cognac an den nächstbesten Tresen zu setzen.
    Der Veteran war hochgradig einverstanden, und so machte ich die Bekanntschaft Frédéric Langlades. Er lebte in einem Dorf bei Troyes und gehörte zu den wenigen Kanonieren, die sowohl den Übergang über die Beresina als auch die Leipziger Völkerschlacht einigermaßen unversehrt überstanden hatten. Frédéric erzählte, bis auf die ewig schmerzenden Erfrierungen habe er nur einen glatten

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