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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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überquerte. Kaum in der Mitte, musste ich plötzlich rennen, sonst wäre ich unter die Räder gekommen.
    »Bursche, du bist krank im Kopf!« schrie ich, aber der Kutscher lachte nur wiehernd und knallte wie toll mit der Peitsche.
    Voller Wut warf ich ihm eine Kastanie hinterher, aber die landete nicht an seinem Kopf, sondern am Zylinder eines Passanten. Ich erschrak, denn der Zylinder gehörte niemand anderem als dem Comte de Carnoth. Er stierte über den Boulevard, den Stock drohend in die Luft gereckt. Als er mich erkannte, knallte er ihn wie ein Maître de Plaisir aufs Pflaster, wenn dieser bei Hof das Eintreffen eines illusteren Gastes verkündete.
    »Wollen Sie mich auf den Friedhof schießen, Monsieur Petrus? Denn stellen Sie sich vor: Da will ich gerade hin.«
    Ich entschuldigte mich umständlich, doch der Comte machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Zur Strafe aber müsse ich ihn nun auf den Friedhof Père-Lachaise begleiten.
    »Warum nicht? Darf ich fragen, wohin uns unsere Schritte dort lenken werden?«
    »Zur Verwaltung, Monsieur Petrus. Schließlich bin ich nicht sentimental. Aber dieses Todes-Brimborium will erledigt sein. Also, Platz aussuchen, kaufen, verschwinden. Womit ich natürlich meine ins Restaurant. Nicht in eine Gruft!«
    Der Comte hob seinen Stock und gab die Richtung vor, in die er zu gehen wünschte. Am beschaulichen Canal Saint Martin entlang zu gehen bedeutete, die Hektik der Stadt hinter sich zu lassen. Der Comte erzählte, er habe, so seltsam es auch klinge, dieses Kleinod der inneren Einkehr erst vor wenigen Monaten für sich entdeckt.
    »Es ist offiziell zwar nur eine Wasserleitung, aber sie ist die stimmungsvollste von ganz Paris. Hier lässt sich gut über Montaigne nachdenken. Zum Beispiel über seinen schlichten Satz: Man solle nicht dreist über Gottes Fügungen urteilen. Hinter dem Wörtchen dreist, Monsieur Petrus, steckt die Philosophie. Montaigne verwehrt sich gegen unsere Angewohnheit, all das, was wir als glücklichen Ausgang unserer Unternehmungen bezeichnen, als Gottes Willen zu betrachten. Ich gebe ihm recht, aber füge hinzu, es ist auch dreist, ihm die unglücklichen Fügungen unseres Lebens in die Schuhe zu schieben – etwas, das ich gerade äußerst leidvoll erfahre.«
    »Könnte ich Ihnen helfen?«
    Der Comte blieb stehen und schaute mich nachdenklich an.
    »Wenn Sie meine Vorstellungen teilten und nicht als zu bizarr ablehnen? Schon möglich. Aber leider muss Monsieur Roland vorher noch ein Problem lösen. Mehr zu sagen verbieten mir meine Umstände, besser gesagt das, was Montaigne mit Fügungen bezeichnet. Aber ich danke Ihnen, Monsieur Petrus. Sie bieten Hilfe an und ich hoffe, ich kann sie bald in Anspruch nehmen.«
    Wir überquerten eine der geschwungenen Brücken, sahen zu, wie ein Krebsfischer seine Reuse leerte. Doch auch am Canal Saint Martin war an diesem Tag nicht alles idyllisch. Ein Hund knurrte erst böse, dann winselte er, um gleich darauf wie wahnsinnig zu jaulen. Zwischendrin ertönte hysterisch schrilles Fiepen, in das sich das Johlen und Brüllen einer Schar halbwüchsiger Jungen mischte. Die einfach bis zerlumpt gekleideten Burschen drängten sich um ein Brettergeviert, das um den Stamm einer der kanalsäumenden Linden gebaut war. Etwas abseits stand ein Karren mit Käfigen voller Ratten.
    »Schauen wir ein bisschen zu, Monsieur Petrus?«
    »Ich gestehe, Sie erstaunen mich, Graf. An derartige Scheußlichkeiten wollen Sie Ihre Aufmerksamkeit verschwenden?«
    »Das Leben ist nun mal ein Moloch an Synchronizität. Jeden Tag gilt es, mit dieser Erkenntnis fertig zu werden, mein lieber Großmeister des Ordens der Suggestionisten. Sicher, ich bin ein Subjekt, das in der Regel gräflich denkt, spricht, speist, trinkt und sich den ästhetischen Vergnügungen seines Standes widmet, doch zuweilen breche ich aus. Dann widme ich meine Aufmerksamkeit unstandesgemäßen Schaustücken. Gleich wird es die Rattenhatz sein, letzte Woche war es ein Blick in den Gefängnishof der Conciergerie. Den Verdammten dort zuzuschauen, wie sie sich, von gegenseitigem Misstrauen erfüllt, lauernde und hämische Blicke zuwerfen – das ist kolossal, wenn man vorher lange Stunden von den einzigartigen Augen seiner Tochter geträumt hat.«
    Der Comte schlug ungeduldig seinen Stock aufs Pflaster. Der Lärm des grausamen Spektakels unterband alle weitere Konversation, denn gerade wurde ein neuer Rattenkasten über dem Hund ausgeschüttet. In grotesken Verrenkungen purzelten

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