Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Monsieur Petrus: Justitia braucht Sie! Das ist die Botschaft, die mit in diesem Karren fährt. Glauben Sie mir!«
Über den Quai des Morfondus und den Quai l´Horloge gelangten wir in die Conciergerie. Wirkliche Häftlinge hätte die jahrhundertealte Schmutzschicht, die am Quai l`Horloge die Nordseite des ehemaligen Palastes der Könige schwärzte, in tiefe Depressionen gestürzt, mir zog sich nur der Magen zusammen. Doch auch mein schlechtes Gewissen nahm zu. Die Schokoladen-Suggestion war verantwortungslos und unethisch gewesen. Einem Hund die Wunden zu lecken! Grauenhaft! Der Comte hatte recht: Meine Experimentierfreudigkeit, wie er vornehm formuliert hatte, war schuld, und wenn ich nur ein wenig weiterdachte, würde auch der Satz einen Sinn haben: Ihre Gabe, Monsieur Petrus, ist gefährlicher,als die Polizei erlaubt.
Andererseits, tröstete ich mich, den ersten Schritt haben Sie doch getan, Monsieur le Comte! Es war Ihre Idee gewesen, diesem Spektakel zuzuschauen. Konnte daraus gefolgert werden, dass das Schicksal uns beide im Bösen wie im Guten in die Pflicht zu nehmen gedachte?
Erst einmal wurde gewendet, was im engen Hof der Conciergerie nur unter mehrmaligem Rangieren gelang. Nach zähen Minuten wurde endlich entriegelt. Das Kreischen des Metalls ähnelte dem der verängstigten Ratten.
Wir stiegen aus.
Da die Tür nur von außen zu öffnen war, waren wir beide tatsächlich wie Gefangene unterwegs gewesen.
Durch einen schmalen Gang gelangten wir nun in die große säulengeschmückte Eingangshalle mit der Kanzlei, wo der Kanzlist uns bereits erwartete, sich aber trotzdem die Papiere zeigen ließ. Als er mich gewahrte, blitzte er mich spöttisch an, aber natürlich enthielt er sich jeden Kommentars. Allein seine Bemerkung, dass man sich heute die Visitation ersparen werde, wertete ich als Anspielung auf die vor Wochen noch so demütigende Prozedur.
»Die gute Conciergerie!« Der Comte breitete die Arme aus und strahlte. »Nirgendwo sonst in Frankreich haben Mauern so viel gute und illustre Gesellschaft schwitzen, ächzen und klagen hören: Eine leibhaftige Königin ist darunter, Messieurs wie Robespierre und Danton und auch eine Charlotte Corday. Ich kannte sie alle und natürlich noch viele andere. Aber nur ich, der hagere Maximilian Joseph Comte de Carnoth, hatte genug Chuzpe, um selbst in den Zeiten der wüstesten Gärungen nie in diesen Gewölben ausharren zu müssen! Ich muss zugeben, ich bin stolz auf mich!«
Ich brachte nur ein schwaches Lächeln zustande. Mochte der Comte sich selbst feiern, vor der Strafgesetz-Reform Napoleons war die Conciergerie der Ort der Verdammten schlechthin. Und auch heute, wo es Öfen gibt, Mahlzeiten und Einzelzellen mit Arme-Leute-Mobiliar, ist jede Stunde in diesem Labyrinth aus Zellen und Krypten tote Zeit. Ich schaute zur Glastür, hinter der sich das Sprechzimmer befand, in welchem ich damals am Tag meiner Überstellung aus dem Gefängnis La Force auf Daniel Roland gewartet hatte. Durch ein mit Holz vergittertes Fenster hatte Roland versprochen, sich meines Falls anzunehmen und ihn so schnell wie möglich ad acta zu legen. Da sich aber auch der oberste Untersuchungsrichter von Paris an die Gesetze halten musste, bedeutete dies für mich, eine Nacht in diesen Mauern auszuharren. Ich solle es mit Humor nehmen, hatte Daniel Roland sich damals verabschiedet: Denn wer heutzutage in der Conciergerie einsitze, könne sich einbilden, zu den besseren Kreisen wie Adel, Finanzleuten, Notaren oder höheren Beamten zu gehören.
»Darf ich Sie fragen, Monsieur Boucicaut«, fragte ich den Kanzlisten, »ob ich mir noch einmal jene Einzelzelle anschauen dürfte, die ich damals das Unglück hatte bewohnen zu dürfen? Sie wissen ja, ich bin Psychiater. Doch auch uns verschonen böse Träume nicht. Also dachte ich: Ich besuche noch einmal meine Zelle, diesmal aber im Wissen, sie als Tourist zu betreten.«
»Da kommen Sie besser ein anderes Mal wieder, Monsieur Cocquéreau. Denn, wenn mich nicht alles täuscht: Ihre Klause ist zur Zeit belegt.«
Ohne weitere Förmlichkeiten zeigte Daniel Roland auf die Treppe, die zu den Verwaltungsräumen führte. Geschwind ging es bis unters Dach des Gebäudes, wo der Untersuchungsrichter eine Art Wohnbüro hatte, von dessen Gaube er auf den Tour de l´Horloge und den Tour de Montgomery blicken konnte, zwei der vier Türme der Sainte-Chapelle.
»Auch unser werter Graf kennt dieses Refugium noch nicht, Monsieur Cocquéreau«, sagte Daniel Roland
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