Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
Vom Netzwerk:
Jeromé an. Schau genau hin, mach die Augen auf. Du weisst ja, wenn du Jeromés Wunden leckst, lebt er weiter. Tust du es nicht, könnte er sterben.«
    »Ich soll einen Hund lecken?«
    »Nein. Nur seine Wunden, die wie Schokolade schmecken. Das weiß doch jeder. Frag deine Freunde. Wunden schmecken nach Schokolade, nicht wahr?«
    »Ja. Das stimmt, Aristide. Das weiß jeder. Nach Schokolade. Deshalb stecken wir uns doch immer den Finger in den Mund, wenn wir uns geschnitten haben.«
    Was der eine sagte, bestätigten die anderen. Eifrig nickten sie und hofften sensationslüstern, ich würde mit meiner sonderbaren Idee Erfolg haben. Hüstelnd schüttelte der Comte den Kopf. Er lupfte seinen Zylinder und strich sich mit der flachen Hand über seine Glatze - als wolle er prüfen, ob er nicht etwa selbst hypnotisiert sei. Seine Miene war wie gespalten: Einerseits voller Bewunderung für meine Gabe, andererseits voller Verachtung, weil die, die sich Aristides Freunde nannten, so bereitwillig einen der ihren verrieten.
    »Ich würde mir den Genuß nicht entgehen lassen, Aristide«, seufzte ich, ging in die Hocke und näherte mich mit angehaltenem Atem dem blutenden Bauch der Bulldogge.
    Da Freiheit und nicht Zwang der Erfolg einer gelungenen Suggestion ist, hütete ich mich, Aristide etwas zu befehlen. Denn selbst in tiefer Trance kann ein Mensch nicht gegen seinen ausdrücklichen Willen zu etwas wirklich Widerlichem oder Schändlichem gebracht werden. Ohne Vertrauen gibt es keine erfolgreiche Suggestion. Dies ist unumstößlich.
    Ich musste Luft holen. Der Blut- und Schweißgeruch Jeromés war so widerwärtig, dass ich würgen musste. Beinahe hätte ich mich übergeben. Doch da war Aristide bereits neben mir in die Knie gegangen.
    »Schmeckt tatsächlich wie Schokolade«, sagte ich betont gelassen und erhob mich. »Hab gerade selbst probiert.«
    Ich präsentierte ihm meinen blutverschmierten Zeigefinger – und der leckte ihn ab. Ungläubig stöhnten die Freunde auf. Als Aristide dann begann, die Wunden seines Hundes zu lecken, wurden sie blaß. Einer würgte, ein anderer griff sich an den Hals. Aristide war so voller Hingabe, dass auch der Comte sich abwenden musste. Ich wusste zwar, dass er tatsächlich Schokolade schmeckte, aber als ich sah, wie gierig er sich mit blutverschmiertem Mund über die nächste Wunde hermachte, begann er mir leid zu tun. Aristides Freunde jedenfalls hatten kalkweiße Gesichter. Einer von ihnen begann zu würgen, steckte damit den anderen an, worauf beide unter die nächste Linde flüchteten und sich gegen ihren Stamm erbrachen.
    »Er wird uns umbringen, wenn Sie ihn aufwecken.«
    »Dazu wird er keine Gelegenheit haben.«
    Ich machte den Comte auf den allen Parisern bekannt-berüchtigten, gelben Zweiradkarren der Polizei aufmerksam, der auf der Straße neben dem Kanal auftauchte. Das offensichtlich leere Gefährt wurde von einem berittenen Gendarm eskortiert, der sich suchend umschaute.
    Als er den Comte gewahr wurde, stutzte er.
    »Verzeihung, Monsieur. Ich habe Auftrag, den Comte de Carnoth ausfindig zu machen und ihn zu Untersuchungsrichter Roland zu bringen. Rock und Hose zufolge könnten Sie gemäß den Angaben seines Dieners der Gesuchte sein … «
    »Ich lasse Sie befördern, Gendarm. Das ist Rettung in letzter Minute! Avanti, Monsieur Petrus! Schnell.«
    Ich beugte mich zu Aristide herab und hauchte ihm ins Ohr, seine Freunde und ich hätten uns leider geirrt: Schokolade schmecke fürstlich, gelecktes Hundeblut dagegen nach rostiger Jauche. Aristide schreckte augenblicklich aus seiner Trance und erbrach sich noch im selben Augenblick über seinem Hund. Jeromé jaulte auf und wandte neugierig den Kopf nach uns – doch da saßen wir bereits unbehelligt in dem mit Eisenblech ausgeschlagenen Schandkarren und lachten. „Eine Sternstunde des Grotesken!“ rief der Comte Mir dagegen verging die Schadenfreude, weil ich nun schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen Bekanntschaft mit dieser Art von Beförderung machte.
    »Der Unterschied ist allein der, dass ich diesmal kein Untersuchungsgefangener bin.«
    »In der Tat, das ist kurios! Wieder werden Sie Ihrer Experimentierfreudigkeit in Sachen Suggestion in solch einem Wagen gefahren. Allerdings, was Aristide und seine Freunde mit uns angestellt hätten – ich möchte es mir lieber nicht vorstellen. Doch so spielt eben das Leben! Heute scheint der Tag gekommen zu sein, wo ich mich wieder mit ihm aussöhnen könnte. Und was Sie betrifft,

Weitere Kostenlose Bücher