Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
ich deshalb tue, weil ich noch heute darüber schmunzele, auf welche unnachahmliche Art Marie-Thérèse mir noch an Ort und Stelle wieder Hoffnungen machte. Ihr Zorn war so schnell verflogen, wie er gekommen war, und als Zeichen der Versöhnung gab es für jeden von uns einen Kuß. Damit nicht genug. Marie-Thérèse verlegte sich aufs Schwindeln. Liebenswürdig klärte sie Philippe darüber auf, wie es überhaupt dazu gekommen sei, dass er sie und mich hier im Hotel anträfe.
»Philippe«, begann sie schmeichelnd und griff nach dessen Hand, »warum willst du all die guten Erinnerungen, die uns beiden nach meinem Konzert geblieben sind, mit dieser Eifersucht zerstören? Wo ist der Kavalier geblieben, an dessen Arm ich ging und dessen Lippen mir das Eau de Cologne vom Hals küssten? Wo ist der Mann, an dessen Brust ich nach einem königlichen Mahl so sanft in der Kutsche entschlummerte? Hast du vergessen, dass du mich in dein Schlafzimmer trugst und mir dort aus dem Kleid geholfen hast? Glaubst du, ich lasse mir von einem Mann das Mieder öffnen, den ich mißachte? Himmel! Petrus war in St. Sulpice und entdeckte mich rein zufällig, weil es mir beliebte, das Fenster zu öffnen. So gab er seine Karte ab und begleitete mich auf meinen Wunsch hin auf den Markt. Du musst wissen, hier wird für die Engländer gekocht. Soll ich deswegen verhungern? Seltsam, ich wohne nur wenige Schritte von dir entfernt, aber genau das scheint dir Beweis eines Vertrauensbruches zu sein! Nur weil ich mit Petrus ein Stückchen Brot teile und eine Flasche Champagner. Dabei kann ich mir nicht vorstellen, Philippe, dass es für ihn besonders reizvoll ist, einer Frau Häppchen zuzuschneiden und sie damit zu füttern. Gut, es ist schon richtig, ich habe fluchtartig die Wohnung deines Bruders verlassen, weil es mir unmöglich ist, mich dort ohne ihn länger als Künstlerin heimisch zu fühlen. Ist das so schwer zu begreifen? Natürlich kann ich nicht zu dir einziehen, schließlich bin ich Pianistin und keine Kurtisane. Nach der Art: Die Oberkirchs sind doch Zwillingsbrüder, einer gegen den anderen austauschbar. Wie sollte ich ihre Küsse unterscheiden können, wenn ich sie doch nicht sehe? Hauptsache, die Herren Barone halten mich aus!«
Ein wenig stutzte ich schon. Stimmt es wirklich, fragte ich mich, dass sie dieses Hotel gewählt hat, um in Philippes Nähe zu sein? Hat er ihr tatsächlich den Hals geküßt? Gar das Mieder geöffnet? Auch wenn ich bestimmt schon mehr von ihr gesehen und gehabt hatte als Philippe: Ich konnte es nicht ertragen, dass sie einem anderen als mir gestattete, sie zu berühren oder gar zu küssen. Selbst wenn es nur die Hände oder der Hals waren. Wie aber kam ihre Entschuldigung bei Philippe an? Er beugte das Haupt, fiel auf die Knie und küsste ihren Ring, den sie ihm zufällig hinhielt, als sei sie die wiederauferstandene Päpstin Johanna.
Im selben Augenblick wurde die Tür geöffnet.
Abbé de Villers, der im Türrahmen erschien, schaute, als wolle er nicht glauben, was er da gerade sehe, und hüstelte wie jemand, der von Berufs wegen dafür bezahlt wird, sich eine Szene wie diese auf der Bühne anzusehen. Wie festgewachsen blieb er im Türrahmen stehen, um plötzlich seinen Stock auf die Türschwelle zu knallen. Die Überraschung war vollkommen: Philippe zuckte zusammen, und Marie-Thérèse schlug sich mit leisem Schrei die Hand vor den Mund.
»Je später der Abend, desto älter die Gäste«, sagte ich tonlos.
»Wer sind Sie?«
»Petrus Cocquéreau. Juliettes Bruder.«
»Juliette?«
»Ja, Juliette!« brüllte ich plötzlich.
Wenn auch sein kahler Schädel ein wenig zurückzuckte, so verlor Abbé de Villers doch nicht seine Ruhe. Seine rotumrandeten Augen zeigten keinen besonderen Ausdruck, nur seine Adlernase schien Witterung aufzunehmen, wobei sich seine Nasenflügel blähten.
»Ja, jetzt erinnere ich mich. Die Geschwister Cocquéreau. Sie sind Petrus, der mich anschreit, weil ich seine Schwester ohne den Segen der Kirche ins ewige Leben entließ. Aber ich bin an ihrem Tod nicht schuld. Es war das Kind in ihrem Leib. Ein uneheliches Kind, verwerflich gezeugt. Ich wollte den Namen des Schänders, um ihn zur Verantwortung zu ziehen. Nur, Juliette wollte ihn nicht preisgeben. Sagen wir es rückblickend so: Juliette starb zu schnell, ich habe mich mit meiner Drohung verschätzt. Gott wird es mir anlasten, nicht ihr.«
Abbé de Villers musterte mich mit regloser Miene. Die schonungslose Art, mit der er sich
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