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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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jetzt – Klinge senkrecht in die Prim … Ausweichen … Angriff … Ausfall … Terz … Quint … Touché!«
    »Zum Teufel, Monsieur Petrus! Ich wäre tot!«
    Wir kreuzten die Klingen, bis mir der Schweiß unter der Maske hervorlief. Ich fand zusehends Gefallen an dem Gefecht, doch nun vergrößerte der Comte die Mensur, und ich kam immer schwerer an ihn heran. Die zwei Treffer, die ich noch anbrachte, stießen lediglich gegen den Handschutz meines Gegners, hingegen der Comte auf einmal so geschickte Ausfälle machte, dass ich zusehends zu Tempoaktionen und Verteidigungshandlungen gezwungen war.
    Wenige Augenblicke später wendete sich das Blatt: Der Comte führte eine Parade nicht zu Ende, womit er mich täuschte und zu einem Stoß einlud. Ich führte ihn unbesonnen, nicht anders als der Comte es sich gedacht hatte. Die Falle schnappte zu: Schon im nächsten Augenblick befand ich mich in so verkürzter Mensur, dass dem Comte eine kleine Drehung mit der Faust genügte, um mich am Halsansatz zu treffen.
    »Touché!«
    »Ich kann es nicht leugnen.«
    »Ganz recht. Es heisst ja, so ein Assaut, wie wir ihn uns gerade liefern, sei eine vergnügliche Unterhaltung zweier Ehrenmänner von vornehmer Erziehung. Haben Sie eigentlich eine solche Erziehung genossen, wenn Sie schon kein standesgemäßer Ehrenmann sind?«
    »Sie meinen, ich bin nicht satisfaktionsfähig?«
    »Ich bin dabei, es herauszufinden.«
    Ungeachtet der Provokation versuchte ich verbissen, die wachsende Überlegenheit des Comte zu parieren. Prompt wurde ich getroffen, wich zurück und musste feststellen, dass ich mich wieder in zunehmend hektischere Verteidigungsaktionen flüchtete. Auf einmal focht ich nur eine Handbreit vor der Spiegelwand. Nur durch das Glas hätte ich noch entkommen können, so eng war die mir aufgenötigte Mensur. Leichtfüßig und mit überlegener Eleganz nötigte der Comte mir hier eine Quartbindung auf, aus der er sich mit einer blitzschnellen Wechselparade löste, die Faust hob und mit dem unteren Drittel seines Floretts so heftig auf meine Klinge schlug, dass mir meine Waffe aus der Hand rutschte.
    Comte de Carnoth, der Ehrenmann, besaß zuviel Geschmack, als dass er mich weiter demütigte: Was hieß, er unterließ die übliche Pose des Siegers, der dem unterlegenen Kombattanten die Spitze der Klinge vor den Hals hält, dabei den Kopf ein wenig in den Nacken legt und hochmütig lächelt. Stattdessen senkte er noch in der Sekunde, in der mein Florett auf den Boden klirrte, seine Waffe, schaute einen Augenblick auf seine Stiefelspitze und dann lächelnd, mit abgenommener Maske, wieder auf.
    Ich wusste die Geste zu würdigen. Hatte ich mich gerade noch über die Arroganz des Comte geärgert, stimmte mich dessen Zurückhaltung wieder versöhnlich. Wollte er mich prüfen? An meiner Reaktion ablesen, wie ehrenvoll meine Erziehung gewesen war? Ich beschloss, seiner Geste mit entsprechender Grandezza zu begegnen – was bedeutete: Ich nahm mein Florett vom Boden auf und reichte es ihm mit tief gesenktem Kopf.
    »Das gefällt mir. Sie haben ja doch Erziehung.«
    »Und Sie sind ein Verfechter wahrer Nobilität.«
    »Schmeichler. Haben Sie etwa vor, meine Tochter zu freien?«
    »Graf, Ihr Witz ist meinem über.«
    »Das hoffe ich. Sie haben sich wacker gehalten. Wer ficht, zeigt, dass er mit dem Gedanken gespielt hat, als galant homme, wie der gute alte Balthasar Gracian sagte, in der Welt zu bestehen. Doch was zeichnet einen solchen Gracianschen Kavalier aus? Er darf nicht kneifen! Er wird nicht flüchten, weder vor einem Feind, noch vor sich selbst. Ein Kavalier kapituliert nicht vor Konfrontationen, seien sie noch so bedrohlich. Stattdessen sieht er der Notwendigkeit der Dinge ins Auge. Er versucht, das Unvermeidliche zu bannen, wird es zu bekämpfen suchen und daraus soviel Kraft und Selbstvertrauen ziehen, dass er sein weiteres Leben wieder unter die Obhut der Hoffnung stellen kann.«
    Während der Comte die Florette wieder an ihren Platz trug, betrachtete ich mich in der Spiegelwand. Da stand ich mit verschwitztem Gesicht und einem unförmigen wattierten Brustschutz auf einem Fechtboden und hatte das Gefühl, das erste Mal in meinem Leben ehrlicher Selbsterkenntnis nahegekommen zu sein. Ein Kavalier, der nicht ausweichen darf, sondern sich stellen muss: Die Worte formten sich zu einem Wunschbild meiner selbst und sprachen eine Wahrheit an, um die ich zwar wusste und zu der ich mich auch jederzeit bekannt hätte – doch ich lebte sie

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