Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
sich durch die Schaulustigen und blickt zum Nordfriedhof hinüber. Er geht am Zaun entlang und versucht, zwischen den schwarzen Silhouetten der Bäume und Steine etwas zu erkennen. Ein Netz aus mehr oder weniger beleuchteten Wegen breitet sich auf einem sechzig Hektar großen Gelände mit Gedächtnishainen, Blumenbeeten, einem Krematorium und 30 . 000 Gräbern aus.
Joona kommt am Pförtnerhäuschen vorbei, beschleunigt seine Schritte, blickt zu dem hellen Obelisken auf Alfred Nobels Grab hinüber und hastet an seiner großen Gruft vorbei.
Plötzlich ist es vollkommen still. Von dem Lärm rund um den Eingang des Krankenhauses ist nichts mehr zu hören. Durch die nackten Wipfel der Bäume rauscht der Wind, und seine Schritte hallen schwach zwischen Grabsteinen und Kreuzen wider. Ein großes Fahrzeug donnert in der Ferne auf der Autobahn vorbei. Es raschelt in den trockenen Blättern unter einem Strauch. Hier und da brennen Friedhofslichter in ihren milchigen Glasbehältern.
Joona geht zur östlichen Längsseite des Friedhofs, dem Teil, der an der Auffahrt zur Autobahn liegt, und sieht plötzlich jemanden, der sich in der Dunkelheit zwischen den hohen Grabsteinen auf die Verwaltungsgebäude zubewegt, die etwa vierhundert Meter entfernt sind. Er bleibt stehen und versucht, seinen Blick zu schärfen. Die Gestalt geht ruckartig und gebeugt. Joona läuft zwischen Grabstätten und Beeten, flackernden Kerzenlichtern und Engeln aus Stein. Er sieht die schmale Gestalt über das erfrorene Gras zwischen den Bäumen hasten. Die weißen Kleider flattern.
»Josef«, ruft Joona. »Bleib stehen!«
Der Junge verschwindet hinter einem großen Familiengrab mit gusseiserner Umzäunung und geharktem Kies. Joona zieht seine Waffe, entsichert sie schnell, läuft seitwärts, sieht den Jungen, ruft ihm zu, dass er stehen bleiben soll, und zielt auf seinen rechten Oberschenkel. Plötzlich verdeckt ihm eine alte Frau die Sicht. Sie hatte sich über ein Grab gebeugt und dann aufgerichtet. Ihr Gesicht ist genau in der Schusslinie. Vor Schreck hat Joona ein flaues Gefühl im Bauch. Josef verschwindet hinter einer Zypressenhecke. Joona senkt die Waffe und rennt ihm hinterher. Er hört die Frau jammern, dass sie doch nur eine Kerze auf Ingrid Bergmans Grab anzünden wolle. Ohne sie anzusehen, ruft er ihr zu, dass es sich um einen Polizeieinsatz handelt. Seine Augen suchen spähend in der Dunkelheit. Josef ist zwischen den Bäumen und Steinen verschwunden. Die sparsam verteilten Laternen beleuchten nur kleine Areale, eine grüne Parkbank oder wenige Meter eines Kieswegs. Joona zieht das Handy heraus, wählt die Nummer der Einsatzzentrale und fordert Verstärkung an. Die Situation ist gefährlich, er benötigt eine ganze Einheit, mindestens fünf Gruppen und einen Hubschrauber. Er eilt schräg eine Böschung hinauf, springt über einen niedrigen Zaun und bleibt stehen. In der Ferne ertönt Hundegebell. Ein Stück voraus knirscht Kies, und Joona rennt in diese Richtung. Er sieht jemanden zwischen den Grabsteinen kauern, folgt der Gestalt mit den Augen, versucht näher zu kommen und eine Schusslinie zu finden für den Fall, dass er die Person eindeutig identifizieren kann. Schwarze Vögel fliegen auf. Eine Mülltonne kippt um. Plötzlich sieht er Josef geduckt hinter einer braunen erfrorenen Hecke laufen. Joona rutscht und stolpert eine steile Böschung hinunter und landet in einem Ständer mit Gießkannen und spitz zulaufenden Vasen. Als er sich wieder aufgerappelt hat, kann er Josef nicht mehr sehen. Sein Puls hämmert in den Schläfen. Er spürt, dass er eine Schürfwunde am Rücken hat. Seine Hände sind kalt und steif. Er überquert den Kiesweg und schaut sich um. Weit entfernt, hinter dem Verwaltungsgebäude, sieht Joona einen Wagen mit dem Emblem der Stadt Stockholm auf der Tür. Das Auto wendet langsam, die roten Rücklichter verschwinden, und das Licht der Scheinwerfer flackert über die Bäume und beleuchtet plötzlich Josef, der schwankend auf dem schmalen Weg steht. Sein Kopf hängt schwer herab, er macht einige hinkende Schritte. Joona läuft, so schnell er kann. Das Auto ist stehen geblieben, die Fahrertür geht auf, und ein Mann mit einem Vollbart steigt aus.
»Polizei«, ruft Joona.
Aber sie hören ihn nicht.
Er feuert einen Warnschuss ab, und der bärtige Mann schaut in seine Richtung. Josef nähert sich ihm mit dem Skalpell in der Hand. Alles passiert binnen weniger Sekunden. Joona hat keine Chance, die beiden rechtzeitig zu
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