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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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zufällig, durch Beihilfe
meiner Schwester Warwara Ardalionowna Ptizyna, erhielt ich von ihrer
intimen Freundin, der verwitweten Gutsbesitzerin Wjera Alexejewna
Subkowa, einen Brief des verstorbenen Nikolai Andrejewitsch
Pawlischtschew, den dieser ihr vor vierundzwanzig Jahren aus dem
Ausland geschrieben hatte. Nachdem ich mich mit Wjera Alexejewna in
Verbindung gesetzt hatte, wandte ich mich auf ihren Rat an den Oberst
a.D. Timofej Fjodorowitsch Wjasowkin, einen entfernten Verwandten und
seinerzeit sehr guten Freund des Herrn Pawlischtschew. Es gelang mir,
von ihm noch zwei Briefe Nikolai Andrejewitschs zu erhalten, die
ebenfalls aus dem Ausland geschrieben waren. Durch diese drei Briefe,
ihr Datum und die darin enthaltenen tatsächlichen Angaben läßt sich mit
zwingender Sicherheit, ohne daß irgendwelche Widerlegung oder auch nur
ein Zweifel möglich wäre, beweisen, daß Nikolai Andrejewitsch damals
ins Ausland gereist war (wo er sich ununterbrochen drei Jahre lang
aufhielt), gerade anderthalb Jahre vor Ihrer Geburt, Herr Burdowski.
Ihre Mutter hat, wie Ihnen bekannt ist, Rußland nie verlassen.
Augenblicklich werde ich diese Briefe nicht vorlesen; dazu ist es schon
zu spät; ich weise nur für jeden Fall auf diesen Fakt hin. Aber wenn es
Ihnen gefällig ist, Herr Burdowski, eine Zusammenkunft in meiner
Wohnung, meinetwegen gleich morgen früh, festzusetzen und Ihre Zeugen,
in jeder Ihnen beliebigen Anzahl, sowie Sachverständige zur
Vergleichung der Handschrift mitzubringen, so hege ich nicht den
geringsten Zweifel, daß Sie nicht umhin können werden, sich von der
evidenten Wahrheit der von mir mitgeteilten Tatsache zu überzeugen.
Wenn es aber so ist, so fällt selbstverständlich die ganze Sache
zusammen und ist damit von selbst erledigt.«
    Wieder folgte eine allgemeine Bewegung und tiefgehende Erregung. Burdowski selbst stand plötzlich von seinem Stuhl auf.
    »Wenn es so ist, dann bin ich betrogen worden, betrogen; aber nicht
von Tschebarow, sondern schon vor sehr langer Zeit; ich will keine
Sachverständigen, ich will keine Zusammenkunft; ich glaube es so schon;
ich verzichte ... ich nehme die zehntausend Rubel nicht an ... Adieu
...«
    Er griff nach seiner Mütze und schob seinen Stuhl zurück, um fortzugehen.
    »Wenn es Ihnen möglich ist, Herr Burdowski«, hielt ihn Gawrila
Ardalionowitsch mit leiser Stimme und in freundlichem Ton auf, »so
bleiben Sie, bitte, noch hier, wenn auch nur fünf Minuten! Es werden in
dieser Angelegenheit noch einige außerordentlich wichtige Tatsachen
zutage kommen, wichtig besonders für Sie und jedenfalls sehr
interessant. Meiner Meinung nach müssen Sie dieselben kennenlernen, und
es wird Ihnen vielleicht selbst angenehmer sein, wenn die Sache
vollständig aufgeklärt wird ...«
    Burdowski setzte sich schweigend wieder hin, ließ den Kopf ein wenig
herunterhängen und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Nach ihm
setzte sich auch Lebedjews Neffe wieder hin, der gleichfalls
aufgestanden war, um ihn zu begleiten; dieser hatte zwar nicht den Kopf
verloren und von seiner Dreistigkeit nichts eingebüßt, war aber
offenbar stark betroffen. Ippolit machte ein finsteres Gesicht, war
traurig und, wie es schien, sehr erstaunt. In diesem Augenblick mußte
er übrigens so heftig husten, daß er sogar sein Taschentuch mit Blut
befleckte. Der Boxer war ganz erschrocken:
    »Ach, Antip«, rief er trübselig, »ich hatte dir ja damals ...
vorgestern gesagt, daß du vielleicht gar nicht Pawlischtschews Sohn
wärst!«
    Man hörte verhaltenes Lachen; zwei oder drei der Anwesenden lachten lauter als die andern.
    »Den Fakt, den Sie uns soeben mitteilten, Herr Keller«, begann
Gawrila Ardalionowitsch wieder, »ist sehr wertvoll. Nichtsdestoweniger
bin ich auf Grund zuverlässiger Tatsachen völlig zu der Behauptung
berechtigt, daß Herrn Burdowski zwar natürlich der Zeitpunkt seiner
Geburt sehr wohl bekannt war, nicht aber der Aufenthalt Pawlischtschews
im Ausland, wo dieser den größten Teil seines Lebens zubrachte, und von
wo er nach Rußland immer nur auf kurze Zeit zurückkehrte. Außerdem ist
auch der Fakt seiner damaligen Abreise an sich so wenig auffallend, daß
nach mehr als zwanzig Jahren selbst seine nahen Bekannten sich nicht
daran erinnern konnten; von Herrn Burdowski rede ich natürlich nicht,
der damals noch gar nicht geboren war. Allerdings erschien es mir jetzt
nicht aussichtslos, Nachforschungen anzustellen; aber ich muß bekennen,
daß die Feststellungen, zu denen

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