Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
gehören nicht zum Kreis der Geheimnisträger, Top-Secret-Dossiers sind ihnen nicht zugänglich. Aber sie sind menschlich; sie gehen nach Hause und berichten alles brühwarm ihrer Frau und ihren Freunden, weil während ihres normalerweise langweiligen Dienstes endlich einmal etwas passiert ist, das von der Routine abweicht. Vielleicht beantworten sie auch Fragen, die ihnen ganz beiläufig von Leuten gestellt werden, die sie für Beamte halten.«
»Und auf geheimnisvolle Weise wußten alle, wer ich war...«
»Genauso wie viele andere Leute in Phoenix und Flagstaff, und eins war ihnen allen klar. Dieser wichtige Mann ist aufgeregt, dieser Kongreßabgeordnete hat es höllisch eilig, dieses große Tier hat ein Problem. Sehen Sie jetzt die Fährte, die Sie hinterlassen haben?«
»Ja, ich sehe sie, doch wer sollte sich für sie interessieren?«
»Das weiß ich nicht, und es beunruhigt mich mehr, als ich Ihnen sagen kann.«
»Es beunruhigt Sie? Wer immer es war, er hat mein Leben zerstört! Wer tut schon so was?«
»Jemand, der eine Öffnung, eine Lücke fand, durch die er dem letzten Stück der Fährte nachspüren konnte – von dem Campinglager namens Lava Falls zu den Terroristen in Maskat. Jemand, der auf etwas stieß, das in ihm den Wunsch weckte, weiterzusuchen. Vielleicht waren es die Telefonate Ihrer Sekretärin oder der Krach, den Sie beim Sicherheitsdienst des Außenministeriums schlugen, vielleicht aber auch, daß jemand durch einen verrückten Zufall das Gerücht gehört hatte, ein unbekannter Amerikaner habe das Geiseldrama in Oman beendet. Ein paar Zeitungen druckten die Geschichte, aber sie wurde schnell wieder abgewürgt. Vielleicht fing damals irgend jemand an, sich Gedanken zu machen. Dann paßten ein paar andere Puzzleteilchen ins Bild, und Sie waren entlarvt.«
Kendrick legte die Hand auf die ihre. »Ich muß wissen, wer es war, Kalaila, ich muß es wissen!«
»Aber wir wissen es doch«, sagte sie leise und machte plötzlich ein Gesicht, als sehe sie etwas, das sie schon früher hätte sehen müssen. »Ein blonder Mann mit europäischem Akzent.«
»Warum?« stieß Kendrick hervor und nahm seine Hand weg.
Kalaila sah ihn mitleidig an, doch das Mitgefühl verdeckte nicht ganz die kalte, analytische Intelligenz in ihren Augen. »Der Antwort auf diese Frage muß Ihre vordringlichste Sorge gelten, Evan«, sagte sie. »Ich habe ein anderes Problem, und das macht mir angst.«
»Ich verstehe nicht.«
»Wer der blonde Mann auch sein mag, wer immer sein Auftraggeber ist – sein Zugriff reicht bis in unsere geheimsten Archive, und dort hat er sich geholt, was er nie hätte bekommen dürfen. Das ist niederschmetternd, erschütternd. Mich erschüttert nicht nur, was Ihnen angetan wurde, sondern auch das, was man uns angetan hat. Wir wurden bloßgestellt, unterwandert, wo eine Unterwanderung unmöglich sein sollte. Wenn sie-wer sie auch sind – Sie aus den tiefsten und sichersten Archiven ausgraben können, die wir haben, können sie sich auch zu vielen anderen Dingen Zugang verschaffen, die niemandem zugänglich sein dürften. Wo Leute wie ich arbeiten, kann das viele das Leben kosten.«
Kendrick forschte in ihrem anziehenden angespannten Gesicht und sah die Furcht in ihren Augen. »Das meinen Sie ganz ernst, nicht wahr? Sie haben Angst.«
»Das hätten Sie auch, wenn Sie die Männer und Frauen kennen würden, die mit uns arbeiten, uns vertrauen, ihr Leben riskieren, indem sie uns Geheiminformationen zuspielen. Jeden Tag fragen sie sich, ob sie sich durch etwas verraten könnten, was sie tun oder auch nicht tun. Viele haben Selbstmord begangen, weil sie die nervliche Anspannung nicht aushielten, andere haben den Verstand verloren und sind in der Wüste verschwunden, weil sie es vorzogen, mit Allah in Frieden zu sterben. Aber die meisten machen weiter, weil sie uns glauben, glauben, daß wir fair sind und wirklich den Frieden wollen. Jedesmal haben sie es mit waffenfuchtelnden Irren zu tun, und so schlimm die Dinge sein mögen, wir haben es nur ihnen zu verdanken, daß sie nicht schlimmer sind, daß auf den Straßen nicht noch viel mehr Blut fließt. Ja, ich habe Angst, weil viele von diesen Leuten meine Freunde und die Freunde meiner Eltern sind. Bei dem Gedanken, sie könnten verraten werden, wie man Sie verraten hat – denn das hat man getan, Evan, man hat Sie verraten -, könnte ich mich in die Wüste schleppen und wie jene sterben, die wir zum Wahnsinn getrieben haben. Weil jemand unsere
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