Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
oder besorg mir einen Job als Sachbearbeiterin bei einer Exportfirma – das kannst du doch, Onkel Mitch. Guter Gott, du warst eine Art Aushilfslehrer an der Universität, und wir haben nie ein Wort gesagt.«
»Du hast nichts gewußt, meine Liebe...«
»Und ob! Das Flüstern im ganzen Haus, wenn ein >Freund von Onkel Mitch< kam und ich in meinem Zimmer bleiben mußte. Und eines Abends tauchten plötzlich drei Männer auf, die Waffen am Gürtel trugen, was ich noch nie gesehen hatte...«
»Das waren Notfälle. Dein Vater hatte Verständnis dafür.«
»Dann versteh du mich jetzt auch, Onkel Mitch. Ich muß es tun, unbedingt!«
»Nun gut«, gab MJ Payton klein bei. »Aber hör mir jetzt genau zu, junge Dame. Du wirst einen Intensivkurs in Fairfax, Virginia, absolvieren, in einem Lager, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist. Wenn du versagst, kann ich dir nicht helfen.«
»Einverstanden«, sagte Adrienne Kalaila Raschad lächelnd. »Wetten wir, daß ich nicht versage?«
»Nicht mit dir, du junge Tigerin. Komm, gehen wir zusammen essen. Du trinkst doch nicht, oder?«
»Nicht richtig, nein.«
»Ich tu’s, und ich bleib’ auch dabei. Aber mit dir wetten werde ich nicht.«
Und es tat Paytons Brieftasche gut, daß er nicht gewettet hatte. Kandidatin Nr. 1344 absolvierte den brutal anstrengenden Zehn-Wochen-Kursus als Beste ihrer Klasse. Zum Teufel mit der Frauenemanzipation – aber Adrienne war besser als sechsundzwanzig Männer. Doch, dachte ihr Onkel Mitch, sie hatte ein Motiv, die anderen nicht: sie war zur Hälfte Araberin.
All das lag jetzt mehr als neun Jahre zurück. Heute, an diesem Freitag nachmittag, fast zehn Jahre später, war Mitchell Jarvis Payton ehrlich bestürzt. Agentin Adrienne Raschad, derzeit im Mittelmeerraum mit Standort Kairo eingesetzt, hatte ihn eben von einem Münztelefon aus dem Hilton Hotel in Washington angerufen. Was, um Gottes willen, tat sie hier? Wer hatte sie von ihrem Posten abberufen? Alle Agenten, die zu Special Projects gehörten, und ganz besonders diese Agentin, durften nur von ihm Befehle entgegennehmen. Es war unglaublich! Und daß sie nicht nach Langley herauskam, sondern darauf bestand, sich mit ihm in einem entlegenen Restaurant in Arlington zu treffen, beruhigte MJs Nerven auch nicht gerade. Besonders nachdem sie ihm gesagt hatte: »Es ist lebenswichtig für mich, daß ich niemandem begegne, den ich kenne oder der vielleicht mich kennt, Onkel Mitch.« Abgesehen von dem ominösen Ton ihrer Erklärung, hatte sie ihn seit Jahren nicht mehr Onkel Mitch genannt. Seine Wahlnichte hatte große Sorgen.
Milos Varak verließ in Durango, Colorado, das Flugzeug und suchte im Flughafengebäude sofort den Schalter einer Mietwagenfirma auf. Er legte einen gefälschten Führerschein und eine ebenso falsche Kreditkarte vor, unterschrieb den Mietvertrag, nahm die Wagenschlüssel entgegen und wurde auf den Parkplatz geführt, auf dem der Wagen stand. In seinem Diplomatenkoffer hatte er eine Speziallandkarte von Südwest-Colorado, auf der Sehenswürdigkeiten wie der Nationalpark Mesa Verde eingezeichnet waren, und Hotels, Motels und Restaurants genau
beschrieben wurden, von denen die meisten in – oder in der Nähe von – Städten wie Cortez, Hesperas, Marvel und, am weitesten östlich, Durango lagen. Das Gebiet, über das die Karte nur sehr oberflächlich Aufschluß gab, war ein Punkt namens Mesa Verde; Stadt konnte man Mesa Verde kaum nennen, es war ein geographischer Ort, der mehr in den Köpfen der Menschen als auf Landkarten oder in Büchern existierte; die heimische Industrie bestand aus einem Kramladen, einem Friseur, einem kleinen außerhalb liegenden Privatflugplatz und einem Café, das sich Ge-Ge’s nannte. In Mesa Verde wohnte man nicht, man fuhr nur durch. Es existierte für Farmer, Erntehelfer und jene nicht auszurottenden Reisenden, die auf den malerischen Routen nach New Mexico und Arizona regelmäßig verschwanden. Der Flugplatz diente der Bequemlichkeit des runden Dutzends privilegierter Landbesitzer, die sich im Hinterland auf ihren Gütern niedergelassen hatten und einfach einen Flugplatz haben wollten. Sie bekamen das Straßenstück mit dem Kramladen, dem Friseur und Ge-Ge’s , wenn überhaupt, nur selten zu sehen. Was sie brauchten, wurde aus Denver, Las Vegas und Beverley Hills eingeflogen. Die einzige Ausnahme war der Kongreßabgeordnete Evan Kendrick, der überraschend für ein politisches Amt kandidiert hatte.
Varak lag jedoch sehr viel daran, das
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