Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
den Stuhl zum Schreibtisch zurück, nahm einen langen, dicken Pullover aus dem Schrank und schlüpfte hinein. Er kaschierte die Ausbuchtungen in den Taschen sehr erfolgreich. Dann tat Weingrass etwas, das er nicht mehr getan hatte, seit das Zimmer umgebaut worden war, nicht einmal, als die Fernsehteams sie überfallen hatten. Er inspizierte die Schlösser an der Schiebetür und schaltete die Alarmanlage ein. Schließlich ging er in die Halle hinunter, wo die Schwester ihn mit seinem Mantel erwartete.
»Das ist ein schöner Pullover, Manny.«
»Den hab’ ich in einem Apres-Ski- Laden in Monte Carlo erstanden. Im Ausverkauf.«
»Wissen Sie eigentlich auf alles eine flippige Antwort?«
»Aber das ist kein Witz, es ist die reine Wahrheit.«
»Da, ziehen Sie Ihren Mantel an!«
»In dem Ding seh’ ich wie ein Hasidim aus.«
»Ein was?«
»Wie Heidi mit dem Edelweiß.«
»Aber nein, ich finde den Mantel sehr männlich.«
»Jetzt aber schnell raus hier!« Weingrass ging auf die Tür zu, blieb dann jedoch noch einmal stehen. »Mädels!« schrie er so laut, daß die beiden auf der Veranda ihn hörten.
»Ja, Manny?«
»Was gibt’s?«
»Hören Sie bitte zu, meine Damen, ich meine es ernst. Da das Telefon nicht funktioniert, wäre mir viel wohler, wenn Sie den Hauptalarm einschalten würden. Tut es mir zuliebe, meine Hübschen. Ich bin für euch nur ein alberner alter Mann, ich weiß, aber ich wäre viel ruhiger, wenn ihr’s tätet.«
»Wie lieb von ihm...«
»Aber natürlich tun wir’s, Manny.«
Die Demutsmasche wirkt immer, dachte Weingrass im Weitergehen und sagte zu der Schwester, die hinter ihm noch mit ihrem Parka kämpfte: »Los, los, ein bißchen Beeilung, wenn ich bitten darf. Ich möchte bei Ge-Ge sein, bevor die Telefongesellschaft für diesen Monat schließt.«
Der Wind von den Bergen wehte wirklich sehr stark, und auf dem Weg von der massiven Haustür zu Kendricks Saab Turbo, der auf halber Höhe der Zufahrt parkte, mußten sie sich gegen die Böen stemmen. Weingrass schirmte sein Gesicht mit der linken Hand ab und wandte den Kopf nach rechts, als der Wind und das Unbehagen, das er empfand, plötzlich unwesentlich wurden. Zuerst dachte er, daß wirbelnde Blätter und aufstiebende Staubwolken seinen noch ausgezeichneten Augen einen Streich spielten, dann jedoch erkannte er, daß das nicht so war. Hinter der hohen Hecke an der Straße bewegten sich Menschen. Eine Gestalt war nach rechts gelaufen und hatte sich an einer Stelle, an der das Laub besonders dicht war, niedergekauert. Eine zweite folgte, lief aber an der ersten vorbei und näher zum Tor.
»Sind Sie okay, Manny?« rief die Schwester, als sie schon fast am Wagen waren.
»Das ist ein Kinderspiel im Vergleich zu den Pässen der Alpes Maritimes!« schrie Weingrass zurück. »Steigen Sie ein! Machen Sie schnell!«
»Wie gern würde ich die Alpen einmal sehen!«
»Ich auch – noch einmal«, murmelte Weingrass vor sich hin. Er stieg in den Wagen, griff unauffällig unter Mantel und Pullover, holte seine Pistole heraus und schob sie zwischen Sitz und Tür. Die Schwester schaltete die Zündung ein und startete den Motor. »Wenn wir auf die Straße kommen, biegen Sie links ab«, sagte er.
»Nein, Manny, Sie irren sich. Am schnellsten kommen wir nach Mesa Verde, wenn wir nach rechts abbiegen.«
»Das weiß ich, meine Süße, aber ich möchte trotzdem, daß Sie nach links abbiegen.«
»Manny, wenn Sie in Ihrem Alter etwas anstellen wollen, werde ich böse.«
»Biegen Sie einfach links ab, und halten Sie hinter der nächsten Kurve.«
» Mister Weingrass, wenn Sie auch nur eine Sekunde lang glauben...«
»Ich steige aus«, fiel er ihr ruhig ins Wort. »Ich möchte Sie nicht erschrecken und erkläre Ihnen später, was los ist. Aber jetzt tun Sie gefälligst haargenau, was ich sage. Fahren Sie bitte!« Die Schwester verstand zwar nicht, was Weingrass meinte, doch sie verstand den Ausdruck seiner Augen. Er wollte sich nicht aufspielen, er gab ihr ganz einfach einen Befehl. »Danke«, fuhr er fort, als sie die hohe Hecke passierte und nach links abbog. »Und wenn Sie mich abgesetzt haben, fahren Sie über die Mancos Road nach Verde...«
»Das ist ein Umweg von wenigstens zehn Minuten...«
»Ich weiß, aber Sie werden es trotzdem tun. In Verde gehen Sie sofort zu Ge-Ge und sagen ihm, er soll die Polizei zu uns heraufschicken...«
»Manny!« schrie die Schwester erschrocken auf.
»Ach, es ist bestimmt nichts«, beschwichtigte er sie hastig.
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