Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
in eine unendliche schwarze Leere.
Der Wachmann ging zu der Sprechanlage, die neben der Spiegelbar in der Wand eingebaut war. Nachdenklich die Stirn runzelnd, tippte er die drei Nummern ein, die man ihm auf dem Boot gegeben hatte.
»Ja, Cottage?« fragte leise eine männliche Stimme.
»Ihr Junge schläft wieder.«
»Gut, wir sind bereit.«
»Es ist meine Pflicht zu fragen«, sagte der redegewandte capo . »Warum wurde er eigentlich hergebracht?«
»Weil er ärztlich behandelt werden muß, aber das geht Sie nichts an.«
»An Ihrer Stelle würde ich mich vorsehen. Sie haben Schulden, und wir sind die Gläubiger.«
»Na schön. Ohne lange medizinische Erklärungen, zwei geringere Dosen sind immer besser als eine Überdosis. Unser Doktor hat auf diesem Gebiet große Erfahrung.«
»Wenn es derselbe ist, soll er sich hier nicht sehen lassen. Er steht auf Kendricks Totenliste. Und schicken Sie mir Ihre Spanier, ich bin nicht dazu da, Leichen zu transportieren.«
»Aber gewiß doch. Und machen Sie sich wegen dieses Doktors keine Sorgen. Er stand auf einer anderen Liste.«
»MJ, er ist noch immer nicht da, und es ist Viertel nach drei Uhr morgens!« rief Kalaila ins Telefon. »Hast du irgend etwas erfahren?«
»Nichts, was annähernd vernünftig klingt«, antwortete der Leiter von Special Projects mit schwacher, müder Stimme. »Ich habe dich nicht angerufen, weil ich dachte, daß du vielleicht ein bißchen schläfst.«
»Lüg nicht, Onkel Mitch. Es hat dir noch nie Kopfzerbrechen bereitet, mich die Nacht durcharbeiten zu lassen. Es geht um Evan, Onkel Mitch!«
»Ich weiß, ich weiß. Hat er erwähnt, daß er eine Verabredung in Balboa Park hatte?«
»Nein. Ich denke nicht, daß er weiß, was oder wo das ist.«
»Weißt du’s?«
»Aber klar doch. Meine Großeltern wohnen dort, weißt du das nicht mehr?«
»Kennst du ein Lokal, das The Balthazar heißt?«
»Es ist ein Kaffeehaus für Hitzköpfe, arabische Hitzköpfe, um genau zu sein, hauptsächlich Studenten. Ich war einmal dort und dann nie wieder. Warum fragst du?«
»Das will ich dir gern erklären«, antwortete Payton. »Nachdem du mich vor ein paar Stunden angerufen hattest, haben wir uns – selbstverständlich als Evans Büro – mit Bollingers Haus in Verbindung gesetzt. Wir haben gesagt, wir hätten eine dringende Nachricht für Evan. Man hat uns erklärt, er sei gegen neun Uhr gegangen, was dem widersprach, was ich von dir wußte: daß er um elf noch nicht zurück war. Die Fahrt vom Haus des Vizepräsidenten zu eurem Hotel dauert höchstens dreißig Minuten. Ich habe mich also an >Lebkuchen< Shapoff gewandt, der in solchen Situationen Gold wert ist. Er prüfte alles nach und fand sogar den Fahrer, der Evans Limousine gefahren hat. Evan hatte ihn gebeten, ihn in Balboa Park abzusetzen, also hat ›Lebkuchen‹ die Nachbarschaft ein bißchen ›aufgemischt‹, wie er es nennt. Aus dem, was er erfahren hat, kann man zwei rätselhafte Schlüsse ziehen. Erstens: Ein Mann, der Evans Beschreibung entsprach, ist in Balboa gesehen worden. Zu Fuß. Zweitens: Gleich mehrere Leute, die im Balthazar waren, haben übereinstimmend ausgesagt, daß derselbe Mann, jetzt mit Sonnenbrille, lange vor dem Kardamom-Kaffeeautomaten gestanden hat, bevor er zu einem Tisch ging.«
»Mitch!« rief Kalaila. »Seine Sonnenbrille liegt vor mir auf dem Schreibtisch. Er trägt sie manchmal tagsüber, damit man ihn nicht erkennt, aber nie abends oder nachts. Er sagt, abends erregt sie die Aufmerksamkeit der Leute erst recht, und das stimmt haargenau. Dieser Mann war nicht Evan. Das Ganze ist eine abgekartete Sache. Sie halten ihn irgendwo fest.«
Kendrick öffnete die Augen wie jemand, der nicht genau weiß, wo er ist, in welchem Zustand er sich befindet und der nicht einmal sicher weiß, ob er wach ist oder noch schläft. In seinem Kopf herrschte ein Chaos, wirre Gedanken zogen ihm wie Nebelschwaden durchs Gehirn, und er war wie gelähmt von einer erschreckenden Ungewißheit. Irgendwo brannte eine Lampe, ihr Schein lag ruhig auf der Balkendecke. Er bewegte die
Hand, hob den rechten Arm von dem fremden Bett in dem fremden Zimmer. Er betrachtete Hand und Arm und hob plötzlich schnell den linken Arm. Was war geschehen? Er schwang die Beine aus dem Bett und stand, zwischen Angst und Neugier hin- und hergerissen, schwankend auf. Verschwunden waren die feste Cordhose und das derbe schwarze Köperhemd. Er hatte wieder seine eigenen Sachen an. Den marineblauen
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