Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
nicht?«
»Das ist lächerlich«, protestierte der Doktor, Kendrick beide Handflächen entgegenstreckend. »Hören Sie! Wir können alle theoretisieren und postulieren, aber wir können nicht garantieren. Dieses Gefängnis wird von Soldaten bewacht, und wir können nicht jedem Mann in die Seele schauen. Angenommen, es sind Sympathisanten? Sehen Sie sich auf den Straßen um. Toll gewordene Bestien, die auf die nächste Hinrichtung warten und Wetten darauf abschließen. Amerika wird nicht von jedem Bürger geliebt, der eine Aba oder Uniform trägt. Drüben sind zu viele Geschichten im Umlauf, wird zuviel Stimmung gegen die Araber gemacht.«
»Das gleiche hat mir Achmad über seine eigene Garnison hier in Maskat gesagt. Nur hat er es >ihnen in die Augen schauen< genannt.«
»Die Augen verraten die Geheimnisse der Seele, ya schaikh , und der Sultan hatte recht. Wir leben in ständiger Furcht vor Schwäche und Verrat in den eigenen Reihen. Diese Soldaten sind jung, leicht zu beeindrucken, urteilen schnell über tatsächliche oder eingebildete Kränkungen. Angenommen – nur einmal angenommen, der KGB entschließt sich, eine Nachricht zu schicken, um die Situation noch mehr zu verwirren. ›Amal Bahrudi ist tot, der Mann, der sich für ihn ausgibt, ist ein Betrüger.‹ Da kann Ihnen nichts mehr helfen – kein Code und kein Hilferuf. Und einen leichten Tod hätten Sie auch nicht.««
»Daran hätte Achmad denken müssen...«
»Das ist nicht fair!« rief Faisal. »Sie unterstellen ihm Dinge, die
ihm nicht einmal im Traum eingefallen wären. Der Name Bahrudi sollte nur im äußersten Notfall als Ablenkungsmanöver benutzt werden, für nichts sonst. Die Strategie war, daß ganz normale Bürger Augenzeugen bei der Festnahme eines Terroristen sein sollten und sogar seinen Namen erfuhren. Verwirrung, Irreführung, Unsicherheit. Achmads Absicht war es, Ihre Hinrichtung – wenn möglich – ein paar Stunden hinauszuziehen, um genügend Zeit zu haben, Sie, einen einzelnen, zu befreien. An Infiltrierung war nie gedacht.«
Kendrick lehnte sich an den Tisch, kreuzte die Arme, musterte den Omaner. »Das verstehe ich nicht, und das meine ich ernst, Herr Doktor. Ich suche nicht krampfhaft nach Dämonen, aber ich denke, daß an Ihrer Erklärung irgend etwas nicht stimmt.««
»Und was ist das?«
»Wenn ich, um eine – wie Sie es nennen – Rückversicherung zu haben, den Namen eines Terroristen annehmen sollte – eines unter ungeklärten Umständen verstorbenen Terroristen...«
»Ein zeitweiliger Schutz, wie Sie ganz richtig sagten«, unterbrach ihn Faisal.
»Dann nehmen wir an – nehmen wir nur einmal an -, ich wäre nicht dagewesen, um heut abend bei dem kleinen Melodrama mitzuwirken?«
»Sie sollten ja gar nicht dabeisein«, erwiderte der Doktor gelassen. »Sie waren rein zufällig da und haben nur den Stundenplan ein bißchen durcheinandergebracht. Die Sache sollte nicht um Mitternacht, sondern in den frühen Morgenstunden, kurz vor den Gebeten in der Moschee von Khor, stattfinden. Die Nachricht von Bahrudis Verhaftung hätte sich auf den Märkten mit derselben Windeseile verbreitet wie die, daß eine Ladung billiger Schmuggelware im Hafen eingetroffen sei. Ein anderer hätte den falschen Bahrudi gespielt. So und nicht anders war es geplant.«
»Dann haben wir es, wie die Anwälte erklären würden, mit einem zwar überraschenden, aber günstigen Zusammentreffen von Umständen zu tun, die allen Beteiligten gerecht wurden, ohne sie in Konflikte zu stürzen. Solche Phrasen bekomme ich in Washington ständig zu hören. Sehr schlau.«
»Ich bin Arzt, ya schaikh , kein Anwalt.«
»Sind Sie sicher?« Kendrick lächelte. »Aber ich wundere mich über Ihren jungen Freund im Palast. Er wollte mit mir über Amal
Bahrudi ›sprechen‹. Wohin hätte uns diese Aussprache wohl geführt?«
»Auch er ist kein Anwalt.«
»Er muß alles sein, um dieses Land zu regieren«, entgegnete Kendrick scharf. »Er muß vor allem denken. Besonders jetzt. Wir vergeuden Zeit, Herr Doktor. Lädieren Sie mich ein bißchen. Nicht um die Augen und nicht am Mund, aber auf den Wangen und am Kinn. Dann schneiden Sie mich in die Schulter, und verbinden Sie die Wunde, aber trocknen Sie das Blut nicht ab.«
»Wie bitte? Was soll ich tun?«
»Herrgott noch mal, soll ich mich etwa selbst verstümmeln?«
Zwei Soldaten rissen die schwere Stahltür auf und stützten sofort ihre Waffen auf die außen angebrachte Eisenplatte auf, als erwarteten sie
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