Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
stark und keine Frau. Doch ich bin kein Anführer, das erlaubt mein Alter noch nicht. Nassir, meine Schwester Saja und Abjad wurden zu Führern des Rates ernannt. Bis zu Nassirs Tod waren die drei für das Unternehmen verantwortlich. Wenn versiegelte Anweisungen kamen, habe ich sie überbracht, aber ich habe die Siegel nicht erbrochen. Nur Saja und Abjad wissen, wie sie den Mahdi erreichen können – nicht persönlich natürlich, aber mit Hilfe einer Reihe von Kontakten, die zu ihm führen.«
»Kannst du über Funk mit deiner Schwester in Verbindung treten – auf einer sicheren Frequenz oder vielleicht über ein sauberes Telefon? Sie könnte dir die Information geben.«
»Unmöglich. Der Feind hat viel zu gute Funkmeßgeräte. Wir sagen über Funk oder am Telefon nichts, was wir nicht auch in aller Öffentlichkeit sagen würden.«
»Könnte einer deiner Leute aus Maskat hineingehen und uns die Information bringen?« fuhr Kendrick, dem der Schweiß auf die Stirn trat, hastig fort.
»Eine Information über den Mahdi?« fragte Asra. »Saja würde jeden töten, der nach ihm fragt.«
»Wir brauchen die Information! Ich soll dich nach Bahrein bringen – zu ihm – bis spätestens heute abend, und ich werde es nicht riskieren, daß uns in Europa der Geldhahn zugedreht wird, weil hier jemand ohne meine Schuld versagt.«
»Es gibt nur eine Lösung«, sagte Asra. »Ich habe sie schon erwähnt. Wir müssen selbst in die Botschaft.«
»Für solche Umwege haben wir keine Zeit«, erklärte Kendrick verzweifelt und außer sich vor Angst, entlarvt zu werden. »Ich kenne Bahrein. Ich bestimme einen Ort, und wir rufen einen deiner Leute, er soll deiner Schwester ausrichten, was wir wollen. Sie oder Abjad werden eine Möglichkeit finden, sich mit einem der Kontaktleute des Mahdi in Verbindung zu setzen. Natürlich darf keiner von uns auch nur mit einem Wort erwähnt werden – sie sollen sagen, es handle sich um einen Notfall. Genau das – um einen Notfall; sie werden wissen, was das
bedeutet. Ich kümmere mich um den Treffpunkt. Eine Straße, eine Moschee, einen Abschnitt des Hafens oder die nähere Umgebung des Flugplatzes. Jemand wird kommen. Jemand muß kommen!«
Schweigend musterte Asra das Gesicht des Mannes, den er für einen Mitstreiter aus dem fernen Europa hielt. »Ich frage dich, Amal Bahrudi«, sagte er nach ein paar Sekunden, »würdet ihr in Berlin so achtlos mit euren Finanziers umgehen? Würden Moskau oder die Banken in Sofia oder die Schwarzgeldinvestoren in Zagreb einen so lockeren Umgang mit ihnen tolerieren?«
»In einem Notfall hätten sie Verständnis dafür.«
»Wenn du einen solchen Notfall verursachen würdest, würden sie dir die Kehle durchschneiden und jemand anders auf deinen Platz berufen.«
»Du kümmerst dich um deine Geldgeber, und ich mich um die meinen, Asra.«
»Ich werde mich um die meinen kümmern. Hier und jetzt. Wir gehen in die Botschaft.«
Der Wind aus dem Golf von Oman fegte über das verkümmerte Gras und die knorrigen, verkrüppelten Bäume, konnte jedoch das Geheul der Zweiklangsirene nicht verjagen, das sich aus dem Wüstental näherte.
»Lauft!« schrie Yosef, packte Asra bei der Schulter und schob seinen Herrn und Meister auf der Straße vor sich her. »Rennt, meine Brüder, wie ihr noch nie gerannt seid!«
»In die Botschaft!« rief Asra. »Noch vor Tagesanbruch.«
Für Evan Kendrick, Kongreßabgeordneter des neunten Bezirks von Colorado, begann in diesem Augenblick der Alptraum, der ihn sein Leben lang nie wieder loslassen sollte.
9
Kalaila stockte der Atem. Ihr Blick war plötzlich wie magnetisch vom Rückspiegel angezogen worden – von einem Lichtpunkt, einem schwarzen Umriß auf noch tieferem Schwarz, von irgend etwas. Und dann sah sie es deutlicher. Noch weit entfernt, auf dem Hügel über Maskat, folgte ihr ein Wagen. Er fuhr ohne Licht, war nur ein dunkler, sich bewegender Schatten in der
Ferne. Er umfuhr eine Kurve auf der verlassenen Straße, die sich in den ins Tal führenden Serpentinen fortsetzte – zu den Ausläufern der Wüste von Dschabal Scham, wo die »Flucht« stattfinden sollte. Das Wüstental hatte nur einen Ein- und einen Ausgang, und ihr strategischer Plan war es gewesen, den Wagen abseits der Straße zu verstecken und Evan Kendrick und seinen Männern zu Fuß zu folgen, nachdem sie ausgebrochen waren. Diesen Plan konnte sie jetzt vergessen.
O mein Gott, ich darf nicht gefaßt werden! dachte sie. Sie werden alle Geiseln in der Botschaft
Weitere Kostenlose Bücher