Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
heirateten. Das blonde Mädchen aus Kalifornien und der Ägypter mit der olivfarbenen Haut.
Als Kalaila geboren wurde, entdeckten die beiden auf Reinhaltung der Rasse bedachten Großelternpaare, daß Kinder mehr waren als Träger reiner oder minderer – sprich gemischtrassiger – Erbfaktoren. Die Barrieren stürzten, von Liebe überrannt. Vier ältere Menschen, zwei Paare, von vornherein entschlossen, sich gegenseitig zu verabscheuen, hatten die Kluft unterschiedlicher Kulturen, verschiedener Hautfarbe und Religionen durch ihre Liebe zu einem Kind und noch ein paar andere gemeinsame Freunde überbrückt. Sie wurden unzertrennlich, der Bankier
aus San Diego mit seiner Frau und der reiche Exporteur aus Port Said mit seiner einzigen Ehefrau.
Was tu’ ich denn? fragte sich Kalaila plötzlich. Jetzt war nicht die Zeit, an die Vergangenheit zu denken, die Gegenwart bedeutete alles. Dann wurde ihr klar, warum ihre Gedanken auf Wanderschaft gegangen waren; es hatte zwei Gründe. Der Druck war einfach zu groß geworden, sie brauchte ein paar Minuten der Sammlung, um an sich und an die Menschen zu denken, die sie liebte – vielleicht nur, um den Haß zu begreifen, der die Welt vergiftete. Der zweite Grund war der wichtigere. Gesichter und Worte, vor langer Zeit bei einer Dinnerparty, hatten im Hintergrund ihres Bewußtseins gelauert, und ganz besonders die Worte schienen sich ihrem Gedächtnis eingeprägt und großen Eindruck auf eine Achtzehnjährige gemacht zu haben, die sich anschickte, nach Amerika aufzubrechen.
»Die Monarchen der Vergangenheit haben für das hohe Ansehen, das sie überall genossen, beschämend wenig getan«, hatte Kalailas Vater an jenem Abend in Kairo gesagt, als die ganze Familie, zu der natürlich auch die beiden Großelternpaare zählten, beisammen gewesen war. »Doch sie haben etwas verstanden, was unsere modernen Politiker nicht in Betracht ziehen – nicht in Betracht ziehen können, es sei denn, sie versuchten Monarchen zu werden, was heutzutage wohl ziemlich unpassend wäre – so gern es einige möchten.«
»Was heißt das, junger Mann?« fragte der kalifornische Bankier. »Ich habe die Monarchie noch nicht ganz abgeschrieben. Bin natürlich Republikaner.«
»Beginnen wir mit unseren Pharaonen, denken wir dann an die Priester von Griechenland, die Kaiser von Rom und die vielen Könige und Königinnen in Europa und Rußland – sie haben Ehen arrangiert, um verschiedene Nationen in ihre engsten Familien einzubeziehen. Sobald ein Mensch einem anderen in einem gesellschaftlichen Umfeld begegnet, wenn man zusammen ißt, tanzt, jagt, sich gegenseitig Witze erzählt, ist es schwierig, sich sein Vorurteil gegen den anderen zu bewahren, nicht wahr?«
Am Tisch sah man sich reihum lächelnd an und nickte.
»Aber in diesen Kreisen, mein Sohn«, erwiderte Kalailas ägyptischer Großvater, der Exporteur aus Port Said, »haben diese Dinge sich nicht immer glücklich entwickelt, nicht immer
glücklich geendet. Ich bin kein gelehrter Mann, aber wie viele Familien haben in ihrem Machthunger Kriege geführt – Kinder gegen Eltern, Eltern gegen Kinder, Geschwister untereinander.«
»Das ist richtig, verehrter Vater, aber wie schlimm wäre es vielleicht ohne diese arrangierten Ehen geworden? Viel schlimmer, meiner Meinung nach.«
»Ich weigere mich, als geopolitisches Mittel mißbraucht zu werden!« hatte Kalailas Mutter lachend gerufen.
»Tatsächlich, meine Liebe, wurde auch unsere Heirat von unseren ränkeschmiedenden Eltern in die Wege geleitet. Hast du eine Ahnung, wieviel sie von unserer Verbindung schon profitiert haben?«
»Der einzige Profit, den ich je zu sehen bekommen habe, ist die bezaubernde junge Dame hier – meine Enkelin«, sagte der Bankier.
»Sie geht nach Amerika, mein Freund«, sagte der Exporteur. »Deine Profite könnten schrumpfen.«
»Wie fühlst du dich, Liebling? Das wird ein richtiges Abenteuer für dich, kann ich mir vorstellen.«
»Es ist ja nicht das erste Mal, Großmutter. Wir haben dich und Großvater so oft besucht, und ich kenne schon eine ganze Reihe amerikanischer Städte.«
»Jetzt wird es ganz anders sein, Liebes.« Kalaila hatte vergessen, wer das gesagt hatte, aber diese Worte waren der Anfang eines der merkwürdigsten Kapitel ihres Lebens gewesen. »Jetzt wirst du dort leben«, hatte irgend jemand noch hinzugefügt.
»Ich kann es kaum erwarten. Alle Leute sind so freundlich, man fühlt sich so zugehörig, spürt, daß man willkommen ist.«
Wieder
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