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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Worte tönten klar durch die milde Luft der Stadt.
    »Was diese gestrige Begebenheit betrifft ...«, sagte der Kapitän. »Hat sie wirklich stattgefunden?«
    »Sie hat.«
    »Haben Sie Zeugen?«
    »Ja.«
    »Dürfen wir mit ihnen sprechen?«
    »Mit jedem von uns«, antwortete der Bürgermeister. »Wir alle sind Zeugen.«
    Der Kommandant wandte den Kopf zur Seite und sagte zu Martin: »Massensuggestion.« Und zu dem Bürgermeister: »Wie hat dieser Mann – dieser Fremde – ausgesehen?«
    »Das ist schwer zu sagen«, meinte der Bürgermeister, ein wenig lächelnd.
    »Warum?«
    »Die Meinungen darüber könnten leicht auseinandergehen.«
    »Ich möchte trotzdem gern Ihre Meinung hören«, sagte der Kapitän. »Nehmen Sie das auf«, fuhr er Martin ärgerlich über seine Schulter an. Der Leutnant schaltete sein Tonbandgerät ein.
    »Nun ja«, sagte der Bürgermeister der Stadt, »er war ein sehr sanftmütiger und freundlicher Mann. Er besaß Einsicht und großes Wissen.«
    »Ja – ja. Ich weiß, ich weiß.« Der Kapitän winkte ab. »Verallgemeinerungen. Ich möchte etwas Genaues. Wie sah er aus?«
    »Ich glaube, das ist nicht so wichtig«, sagte der Bürgermeister.
    »Doch, es ist sehr wichtig«, erwiderte der Kapitän hartnäckig. »Ich brauche eine Beschreibung von diesem Burschen. Wenn ich sie nicht von Ihnen bekommen kann, dann eben von anderen.« Und zu Martin: »Bestimmt ist es Burton gewesen, der ihnen diesen Streich gespielt hat.«
    Martin sah ihm nicht ins Gesicht. Martin blieb kühl und schweigend.
    Der Kommandant schnippte mit den Fingern. »Es soll sich so dies und jenes zugetragen haben – eine Heilung, zum Beispiel?«
    »Viele Heilungen«, antwortete der Bürgermeister.
    »Darf ich eine sehen?«
    »Gern«, sagte der Bürgermeister. »Mein Sohn.« Er nickte einem kleinen Jungen zu, der sogleich vortrat. »Er hatte einen verdorrten Arm. Sehen Sie ihn sich jetzt einmal an.«
    Der Kapitän lachte nachsichtig. »Ja, ja. Das ist noch nicht einmal ein Indizienbeweis, wissen Sie. Ich habe nicht den verdorrten Arm des Jungen gesehen. Ich sehe jetzt lediglich, daß sein Arm gesund und heil ist. Das ist kein Beweis. Wie wollen Sie beweisen, daß der Arm des Jungen gestern verdorrt war und heute gesund ist?«
    »Mein Wort ist mein Beweis«, erwiderte der Bürgermeister einfach.
    »Mein lieber Mann!« rief der Kapitän. »Sie erwarten doch nicht, daß ich mich auf Hörensagen verlasse, wie? O nein!«
    »Das tut mir leid«, sagte der Bürgermeister und blickte den Kapitän mit einer Mischung aus Neugier und Mitgefühl an.
    »Besitzen Sie eventuell Bilder, die den Jungen vor dem heutigen Tag zeigen?« fragte der Kapitän.
    Nach kurzer Zeit wurde ein großes Ölporträt herbeigebracht, das den Sohn mit einem verdorrten Arm zeigte.
    »Mein lieber Mann!« Der Kapitän tat das Bild mit einer Handbewegung ab. »Jedermann kann ein Bild malen. Gemälde lügen. Ich möchte eine Photographie des Jungen sehen.«
    Es gab kein Photo. Photographie war eine unbekannte Kunst in diesem Staat.
    »Na schön«, seufzte der Kapitän mit zuckendem Gesicht. »Lassen Sie mich mit einigen anderen Bürgern sprechen. So kommen wir nicht weiter.« Er zeigte auf eine Frau. »Sie.« Sie zögerte. »Ja, Sie; kommen Sie her«, ordnete der Kapitän an. »Erzählen Sie mir von diesem wunderbaren Mann, den Sie gestern gesehen haben.«
    Die Frau blickte dem Kapitän fest in die Augen. »Er trat unter uns und war sehr edel und gütig.«
    »Was für eine Farbe hatten seine Augen?«
    »Die Farbe der Sonne, die Farbe des Meeres, die Farbe einer Blume, die Farbe der Berge, die Farbe der Nacht.«
    »Genug!« Der Kapitän warf die Hände in die Luft. »Verstehen Sie nun, Martin? Absolut nichts. Irgendein Scharlatan wandert hier durch, flüstert ihnen gleisnerische Nichtigkeiten in die Ohren, und schon –«
    »Bitte, hören Sie auf«, sagte Martin.
    Der Kapitän trat einen Schritt zurück. »Was?«
    »Sie haben richtig gehört«, sagte Martin. »Ich habe diese Leute gern. Ich glaube, was sie sagen. Sie dürfen sich Ihre eigene Meinung darüber bilden, aber behalten Sie sie für sich, Sir.«
    »So können Sie nicht mit mir reden!« schrie der Kommandant.
    »Ich habe genug von Ihrer Anmaßung«, erwiderte Martin. »Lassen Sie diese Leute in Ruhe. Da haben sie etwas Gutes und Anständiges, und Sie kommen daher und verhöhnen sie. Jawohl, ich habe auch mit ihnen gesprochen. Ich bin durch die Stadt gegangen und habe ihre Gesichter gesehen; sie besitzen etwas, das

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