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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Endgültiges ging von seinem Erscheinen aus. Durch den dünnen, kühlen Regen, gewaltige Dampfwolken von sich blasend, kam ein alter Ford die Bergstraße herunter. Das Auto fuhr so schnell es nur konnte. Er erwartete, es jeden Augenblick auseinanderfallen zu sehen. Als der Fahrer dieses ehrwürdigen schmutz- und rostbedeckten Fords Hernando sah, brachte er den Wagen mit kochendem Kühler vor ihm zum Stehen.
    »Könnten wir bitte etwas Wasser haben, Señor!«
    Ein junger Mann, vielleicht einundzwanzig, saß am Steuer. Er trug einen gelben Pullover, ein weißes Hemd mit offenem Kragen und eine graue Hose. In dem verdecklosen Wagen fiel der Regen auf ihn und fünf junge Frauen, die so zusammengepfercht saßen, daß sie sich kaum rühren konnten. Sie waren alle sehr hübsch, und sie bemühten sich, den Regen von sich und dem Fahrer mit alten Zeitungen abzuhalten. Aber der Regen vereitelte ihre Anstrengungen, durchnäßte ihre bunten Kleider, durchnäßte auch den Fahrer. Sein Haar war ihm vom Regen völlig angeklebt. Aber das schien sie nicht zu bekümmern. Niemand beklagte sich, und das war sehr ungewöhnlich.
    Hernando nickte. »Ich werde Ihnen Wasser bringen.«
    »Oh, bitte, beeilen Sie sich!« flehte eines der Mädchen, fast weinend. Ihre Stimme klang schrill und sehr ängstlich. Keine Ungeduld lag in ihrer Bitte, sondern nur Furcht. Zum ersten Mal da ein Tourist etwas verlangte, rannte Hernando.
    Er kehrte mit einer Radkappe voll Wasser zurück.
    Während er das Wasser in den kochenden Kühler goß, blickte Hernando auf und in ihre gezeichneten Gesichter. »Oh, vielen Dank, vielen Dank«, sagte eines der Mädchen. »Sie wissen nicht, was das für uns bedeutet.«
    Hernando lächelte. »So viel Verkehr in einer Stunde. Und alle fahren in einer Richtung. Nach Norden.«
    Er hatte nichts sagen wollen, was sie verletzte. Doch als er zum zweiten Mal aufblickte, saßen sie alle im Regen und weinten. Sie weinten hemmungslos. Und der junge Mann versuchte sie zu beruhigen, indem er einer nach der anderen die Hände auf die Schultern legte und sie sanft schüttelte, aber sie hielten sich die Zeitungen über die Köpfe, und ihre Augen waren geschlossen, ihre Münder zuckten und ihre Gesichter wurden bleich, und sie weinten, die einen laut, die anderen leise.
    Hernando stand mit der halbleeren Radkappe zwischen den Händen. »Ich wollte damit gar nichts sagen, Señor«, entschuldigte er sich.
    »Schon recht«, erwiderte der Fahrer.
    »Stimmt etwas nicht, Señor?«
    »Haben Sie's denn nicht gehört?« antwortete der junge Mann, sich umwendend und vorbeugend, mit einer Hand fest das Steuerrad umklammend. »Es ist passiert!«
    Hernando erstarrte. Er goß das restliche Wasser in den Kühler. Er blickte gen Himmel, der voll schwarzer Unwetterwolken hing. Er sah hinab auf den vorbeirauschenden Fluß. Er fühlte den Beton unter seinen Füßen.
    Er trat an die Seite des Wagens. Der junge Mann ergriff seine Hand und gab ihm einen Peso. »Nein.« Hernando gab ihn ihm zurück. »Ich hab's gern getan.«
    »Vielen Dank, Sie sind so freundlich«, sagte eines der Mädchen unter Schluchzen. »Oh, Mama, Papa. Oh, ich möchte nach Hause, ich möchte nach Hause. Oh, Mama, Papa.« Die anderen hielten sie.
    »Ich habe Sie nicht verstanden, Señor«, sagte Hernando ruhig.
    »Der Krieg!« schrie der junge Mann so laut, als ob niemand ihn hören konnte. »Der Atomkrieg, es ist da, das Ende der Welt!«
    »Señor, Señor«, sagte Hernando.
    »Haben Sie Dank, haben Sie Dank für Ihre Hilfe. Leben Sie wohl«, sagte der junge Mann.
    »Leben Sie wohl«, sagten alle, starr in den Regen blickend und ohne ihn anzusehen.
    Er stand da, während der junge Mann den Gang einrasten ließ und der Wagen davonratterte; langsam verschwand er am Ausgang des Tales. Schließlich war er fort, der letzte Wagen, mit den jungen Frauen darin, flatternde Zeitungen über den Köpfen.
    Eine lange Zeit rührte Hernando sich nicht. Der Regen rann kalt über seine Wangen, an seinen Fingern hinab und durchtränkte seine Hosen. Er hielt den Atem an und wartete, aufmerksam und gespannt.
    Er beobachtete die Landstraße, aber nichts regte sich mehr auf ihr.
    Es hörte auf zu regnen. Der Himmel brach durch die Wolken. In zehn Minuten hatte das Unwetter sich aufgelöst wie ein fauler Atemhauch. Ein linder Wind blies den Duft des Dschungels zu ihm hin. Er hörte den Fluß sanft und gelassen dahinplätschern. Der Dschungel leuchtete tiefgrün; alles war frisch. Er schritt über den Acker zu

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