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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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hinabrollen. Als es das Ende erreicht hatte ... verschwand es.
    »Hast du's gesehen?« fragte Mink. »Schwupp!« Mit den Fingern schnippend, ließ sie das Jo-Jo wieder erscheinen und die Schnur hinauflaufen.
    »Mach das noch mal«, sagte ihre Mutter.
    »Kann nicht. Um fünf Uhr ist Stunde Null! Wiedersehn.« Ihr Jo-Jo auf und nieder tanzen lassend, ging Mink hinaus.
    Helen lachte aus dem Bildschirm. »Tim hat heute morgen auch so ein Jo-Jo nach Hause gebracht – aber als ich neugierig wurde, wollte er es mir nicht zeigen. Schließlich hab' ich's dann auch einmal versucht, aber da wollte es nicht klappen.«
    »Du hast eben nicht genug Phantasie«, sagte Mrs. Morris.
    »Was meinst du damit?«
    »Ach, es ist nicht wichtig. Mir fiel nur eben etwas ein. Womit kann ich dir helfen?«
    »Ach ja, eigentlich habe ich nur angerufen, weil ich gern das Rezept für deinen wundervollen Marmorkuchen haben wollte ...«
     
    Träge verstrich die Stunde. Der Tag ging zur Neige. Langsam sank die Sonne im friedlich blauen Himmel. Die Schatten auf dem grünen Rasen wurden länger. Das aufgeregte Lärmen und Lachen der Kinder aber ging weiter. Ein kleines Mädchen lief weinend davon. Mrs. Morris ging hinaus.
    »Mink, war das nicht Peggy Ann, die da eben geweint hat?«
    Mink stand gebückt in der Nähe des Rosenstrauches. »Ja. Sie ist ein Angsthase. Wir lassen sie nicht mehr mitspielen. Sie ist zu alt für unser Spiel. Ich glaube, sie ist auf einmal erwachsen geworden.«
    »Und deshalb hat sie geweint. Unsinn. Gib mir eine vernünftige Antwort, mein Fräulein, oder du kommst auf der Stelle herein!«
    Bestürzt und gereizt wirbelte Mink herum. »Ich kann jetzt nicht aufhören! Es ist fast soweit. Entschuldige, ich bin ja ganz artig.«
    »Hast du Peggy Ann geschlagen?«
    »Nein, Ehrenwort. Frag sie doch.«
    Der Ring der Kinder schloß sich dichter um Mink, die ärgerlich auf ihr Werk blickte, einen sonderbaren quadratischen Aufbau aus Löffeln, Hämmern und Ofenrohren. »Hier klemmt's noch und da«, murmelte sie dabei.
    »Stimmt etwas nicht?« rief Mrs. Morris.
    »Drill ist auf halbem Wege steckengeblieben. Wenn wir ihn nur ganz hindurchbekämen, hätten wir's geschafft. Dann könnten die andern alle leicht hinterherkommen.«
    »Kann ich helfen?«
    »Nein, Mammi, danke. Ich schaff's schon.«
    »Na schön. Aber in einer halben Stunde rufe ich dich zum Baden.«
    Sie ging wieder hinein und setzte sich in den automatischen Schaukelstuhl. Während sie einen Schluck Bier aus dem halbleeren Glas trank, massierte die Stuhllehne ihr den Rücken. Kinder, dachte sie, sind doch rätselhafte Geschöpfe. Werden wir Erwachsenen sie je ganz verstehen? Wie dicht beieinander liegen doch Liebe und Haß in einem Kinderherzen.
    Die Zeit verrann. Eine merkwürdige, erwartungsvolle Stille senkte sich über die Straße, wurde immer tiefer.
    Fünf Uhr. Irgendwo im Haus begann eine Uhr mit gleichmäßiger, melodischer Stimme zu singen: »Fünf Uhr – fünf Uhr. Nütze die Zeit, sie verrinnt so rasch. Fünf Uhr.« Leise verklang die Melodie.
    Stunde Null.
    Mrs. Morris unterdrückte ein Lächeln. Stunde Null.
    Ein Atomauto summte in die Einfahrt. Mr. Morris kam nach Hause.
    Mrs. Morris lächelte.
    Mr. Morris stieg aus dem Wagen, schloß ihn ab und rief Mink die völlig in ihre Arbeit vertieft war, einen Gruß hinüber. Mink beachtete ihn nicht. Er lachte, blieb einen Augenblick stehen und sah den Kindern zu. Dann stieg er die Stufen zum Eingang hinauf.
    »Hallo, Liebling.«
    »Hallo, Henry.«
    Sie rutschte in ihrem Sessel nach vorn und beugte sich lauschend vor. Die Kinder waren still. Zu still.
    Er klopfte seine Pfeife aus und füllte sie wieder. »Ein herrlicher Tag. Da freut man sich so richtig, daß man lebt.«
    Ein tiefes Summen.
    »Was ist das?« fragte Henry.
    »Ich weiß nicht.« Sie stand hastig auf, ihre Augen weiteten sich. Sie wollte etwas sagen, unterließ es aber. Lächerlich. Die Nerven gingen mit ihr durch.
    »Die Kinder haben doch nichts Gefährliches da draußen?« fragte sie statt dessen.
    »Ich habe nur Hämmer und Ofenrohre gesehen. Warum?«
    »Nichts Elektrisches?«
    »Verflixt, nein«, antwortete Henry. »Ich habe genau hingesehen.«
    Sie gingen zur Küche. Das Summen hörte nicht auf.
    »Vielleicht gehst du doch lieber hinaus und sagst ihnen, sie sollen Schluß machen. Es ist schon nach fünf. Sag ihnen ...« Ihre Augen zuckten hin und her. »Sag ihnen, sie sollen ihre Invasion auf morgen verschieben.« Sie lachte nervös.
    Das Summen wurde

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