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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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ihrer langen, wilden Reise zum Mars, zum Saturn und zur Venus!
    »Heda, Bodoni.«
    Fiorello zuckte leicht zusammen.
    Auf einer umgestürzten Kiste, am Ufer des stillen Flusses, saß ein alter Mann, der ebenfalls im mitternächtlichen Schweigen den Raumschiffen nachsah.
    »Oh, du bist es, Bramante!«
    »Kommst du jede Nacht heraus, Bodoni?«
    »Nur zum Luftschnappen.«
    »So? Ich komme wegen der Raumschiffe«, sagte der Alte. »Ich war noch ein kleiner Junge, als es damit losging. Achtzig Jahre ist das nun her, und ich bin noch nie mit einem geflogen.«
    »Eines Tages werde ich mit einem aufsteigen«, sagte Fiorello.
    »Narr!« rief Bramante erregt. »Das wird dir nie gelingen. Diese Welt ist nur für die Reichen geschaffen.« Er schüttelte seinen grauen Kopf. »Als ich jung war, schrieben sie mit feurigen Lettern: ›D IE W ELT VON M ORGEN ! Wissen, Wohlstand und Luxus für alle!‹ Ha! Achtzig Jahre sind seitdem vergangen. Heute ist Morgen! Sitzen wir in den Raumschiffen? Fliegen wir zum Mars, Saturn und Jupiter? Nein! Wir wohnen weiter in elenden Hütten wie schon unsere Väter und Großväter.«
    »Vielleicht werden meine Söhne einmal ...«
    »Nein, und auch nicht deren Söhne!« schrie der alte Mann. »Nur die Reichen fliegen in Raumschiffen!«
    Fiorello zögerte unentschlossen. »Alterchen«, sagte er dann, »ich habe dreitausend Dollar gespart. Sechs Jahre habe ich daran gespart. Für mein Geschäft, um neue Maschinen zu kaufen. Aber seit einem Monat liege ich jetzt jede Nacht wach und höre die Raumschiffe. Ich denke und denke. Und heute nacht habe ich mich entschlossen: einer aus meiner Familie soll zum Mars fliegen!« Seine dunklen Augen glänzten.
    »Idiot!« fuhr Bramante ihn an. »Wen willst du wählen? Wer soll fliegen? Wenn du gehst, wird deine Frau dich hassen, weil du Gott dort oben ein kleines Stückchen nähergerückt bist. Wenn sie sich später an deine phantastischen Reiseberichte erinnert, wird sie dann nicht im Laufe der Jahre verbittert werden?«
    »Nein, nein!«
    »Ja! Und deine Kinder? Werden sie damit zufrieden sein, ihr ganzes Leben lang von der Erinnerung an einen Marsflug zehren zu dürfen, den ihr Papa unternahm, während sie zu Hause bleiben mußten? Welch ein sinnloses Ziel willst du damit den Wünschen deiner Söhne setzen! Sie werden nachts wachliegen. Sie werden krank sein vor Sehnsucht, genau wie du jetzt. Sie werden lieber sterben wollen, als nicht fliegen dürfen. Ihr Leben lang werden sie nur an das Raumschiff denken. Ich warne dich!«
    »Aber ...«
    »Angenommen, deine Frau fliegt? Wie würde dir zumute sein, wenn du mit dem Wissen umherliefest, daß sie gesehen hat, was du dir mit ganzer Seele wünschtest? Sie würde unberührbar für dich sein. Du würdest mit dem Gedanken spielen, sie in den Fluß zu stoßen. Nein, Bodoni, kauf die neue Schrottpresse, die du so nötig brauchst, und zertrümmere damit deine Träume.«
    Der alte Mann schwieg und blickte über den Fluß, in dessen leise zitternder Oberfläche die feuerspeienden Spiegelbilder der Himmelsschiffe ertranken.
    »Gute Nacht«, sagte Bodoni.
    »Schlaf gut«, antwortete der Alte.
     
    Als die Toastscheibe aus dem chromblitzenden Röster sprang, hätte Bodoni fast vor Schreck aufgeschrien. Er hatte die ganze Nacht über nicht schlafen können. Während des Frühstücks inmitten seiner unruhigen Kinder, neben seiner wie ein Fels in der Brandung thronenden und ihn überragenden Frau war Bodoni nur nervös hin und her gerutscht und hatte ins Leere gestarrt. Bramante hatte recht. Es war besser, wenn er das Geld investierte. Wozu es sparen, wenn doch nur einer aus der Familie mit dem Raumschiff fliegen konnte, während die anderen vor Enttäuschung vergingen?
    »Fiorello, iß deinen Toast«, sagte Maria, seine Frau.
    »Meine Kehle ist wie ausgetrocknet«, entgegnete Fiorello.
    Die Kinder stürmten herein, drei Jungen, die sich gegenseitig ein Spielzeugraumschiff zu entreißen versuchten, und zwei Mädchen, die Arme voller Puppen, phantastischer Nachbildungen der Bewohner von Mars, Venus und Neptun, grüne Mannequins mit drei gelben Augen und zwölf Fingern.
    »Ich hab' die Venusrakete gesehen!« schrie Paolo.
    »Die rauschte ab, hsch «, zischte Antonello.
    »Kinder!« schrie Bodoni und preßte die Hände über seine Ohren.
    Verblüfft starrten sie ihn an. Er schrie selten.
    Bodoni stand auf. »Hört alle mal her«, sagte er. »Ich habe genug Geld, daß einer von uns mit dem Raumschiff zum Mars fliegen kann.«
    Alle

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