Der im Dunkeln wacht - Roman
besuchten die zehnte und elfte Klasse des Gymnasiums. Eine Meisterleistung, alle drei an einem Tisch zu vereinen, fand Irene. In diesem Augenblick fiel ihr auch der Anlass wieder ein.
»Natürlich … herzliche Glückwünsche zum Geburtstag nachträglich«, sagte sie verlegen.
Schweigend kehrten sie zum Dezernat zurück.
Polizeichef Thomas Englund hatte nach dem Mittagessen Zeit für Irene. Sie klopfte wie vereinbart Punkt ein Uhr an seinem Büro. Als er »Herein« sagte, öffnete sie die Tür und trat ein. Er telefonierte und bedeutete ihr, auf dem Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches Platz zu nehmen.
Während er sprach, betrachtete ihn Irene verstohlen. Sie hatte immer gefunden, dass er gut aussah. Fast fünfzig, relativ groß und durchtrainiert. Sein kurz geschnittenes Haar war ergraut, und sein Gesicht hatte noch eine kleidsame Seglerbräune vom Sommer behalten. An der Wand hinter Englund hingen mehrere gerahmte Fotos von großen Segelbooten. Er stand am Ruder von mindestens drei von ihnen. Ein Foto zeigte das Cockpit eines Bootes in Nahaufnahme. Thomas Englund hielt ein großes Ruder mit beiden Händen. Neben ihm standen eine blonde Frau und zwei Jungen, die schon fast erwachsen waren. Alle trugen Seglerkleidung und lächelten den Fotografen an. Der Wind fuhr ihnen durchs Haar. Nach dem Foto zu urteilen eine glückliche Familie. Nach einigen Bemerkungen über das Wetter beendete der Polizeichef das Gespräch und legte auf.
»Hallo, Irene. Womit kann ich dir helfen?«, sagte Englund und lächelte freundlich.
Er beugte sich auf die Ellbogen gestützt über den Schreibtisch. Die Hände ruhten auf der Schreibtischplatte. Am Ringfinger
trug er einen breiten Goldring. Offenbar nicht geschieden, noch nicht zumindest, dachte Irene.
»Hallo. Es geht um den Überfall auf Kommissarin Efva Thylqvist. «
Sein freundliches Lächeln wurde starr und sah plötzlich sehr angestrengt aus.
»Ja … furchtbar. Eine schreckliche Geschichte. Ich habe heute Morgen davon gehört. Alle hier im Haus sprechen davon.«
Sein Blick war unruhig. Wahrscheinlich überlegte er, warum Irene mit ihm über Kommissarin Thylqvist sprechen wollte.
»Tommy Persson und ich waren nach dem Überfall am Tatort. Wir haben ein Foto gefunden, das ich dir zeigen will.«
Irene öffnete die Akte, die sie in der Hand hielt. Sie entnahm eine Plastikmappe, öffnete sie ebenfalls und ließ das Foto vor dem Polizeichef auf den Tisch fallen. Jetzt verschwand das angestrengte Lächeln aus seinem Gesicht. Er holte ein paar Mal tief Luft und starrte das Foto an.
»Das hier ist die Kopie eines Fotos, das der Täter an Efva geschickt hat. Das gehört zu seinem Modus operandi. Er tut das immer, bevor er die Frauen angreift. Er will sie auf ihre Sünden aufmerksam machen, damit sie wissen, warum er sie tötet«, sagte Irene.
»Handelt es sich … um diesen Paketmörder?«
Thomas Englunds Stimme klang gepresst.
»Ja. Die Vorgehensweise stimmt mit der des Paketmörders überein.«
Irene betrachtete den Polizeichef. Er faltete die Hände, um zu verbergen, dass sie zitterten.
»Du verstehst sicher, dass wir uns für deine Beziehung zu Efva interessieren«, fuhr sie gelassen fort.
»Natürlich, natürlich. Das verstehe ich. Aber …«
Er unterbrach sich, und Irene sah, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand.
»Die Sache ist … etwas heikel.«
Das fällt dir früh ein, dachte Irene. Es würde sich aber nur schwer geheim halten lassen. Im Präsidium sprach sich viel herum, das wusste er ebenso gut wie sie. Sie deutete mit dem Kopf zum Foto auf dem Tisch und fragte:
»Weiß deine Frau Bescheid?«
»Nein … nein. Du verstehst sicher … dass das keine Bedeutung hatte. Wir waren nur … ein … wenige Male …«
Ihm schien SCHULDIG auf die Stirn geschrieben, und es war offenbar, dass er schlecht lügen konnte. Wie es aussah, war er also kein notorischer Lügner, und das war sympathisch. Wahrscheinlich würde seine Frau anders darüber denken.
»Seit wann hattet ihr eine Beziehung?«, fragte Irene.
Englund legte sein Gesicht in beide Hände und seufzte laut.
»Guter Gott … Beziehung! Was für ein Wort! Seit August. Nach den Sommerferien. Wir waren auf einem Seminar … und es ist einfach passiert.«
»Ihr hattet eine Affäre«, konstatierte Irene.
Thomas Englund nickte, immer noch die Hände vor dem Gesicht. Langsam ließ er die Hände sinken und sah Irene an.
»Das ist nichts, worauf ich stolz bin. Aber mir ist klar, dass
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