Der im Dunkeln wacht - Roman
Arbeitszimmer. An den Wänden befanden sich übervolle Bücherregale. In beiden Fenstern standen grünende Topfpflanzen. Auch das kleine Gärtchen vor den Fenstern war vorbildlich gepflegt. In den beiden Beeten von Unkraut keine Spur, und der handtuchbreite Rasen war frisch gemäht. Von Haken, die am Balkon der Wohnung im ersten Stock befestigt waren, hingen Töpfe mit prächtigen Pflanzen herab. Obwohl es in den letzten Tagen geregnet hatte
und kühler geworden war, blühten sie noch. Elisabeth Lindberg hatte wirklich einen grünen Daumen besessen. Wie auch Ingela Svensson.
»Beide waren alleinstehend«, dachte Irene laut.
»Und beide wohnten im Erdgeschoss.«
Hannu folgte ihrem Gedankengang sofort. Wahrscheinlich waren ihm diese Gemeinsamkeiten auch schon aufgefallen.
»Geschieden und zwischen vierzig und fünfzig. Beide garteninteressiert. Ingela Svensson hatte das sogar zu ihrem Beruf gemacht«, fuhr Irene fort.
»Geschieden, alleinstehend, mittleren Alters, Blumenfans und im Parterre wohnend«, fasste Hannu zusammen.
Irene dachte eine Weile nach und sagte schließlich:
»Sie haben tatsächlich einiges gemeinsam. Man sollte als Allererstes überprüfen, ob Elisabeth Lindberg Ingela Svenssons neuen Freund in Borås gekannt haben könnte.«
»Ich kümmer’ mich drum«, sagte Hannu und nickte in Richtung des Computers, der auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer stand.
»Als Zweites sollten wir herausfinden, ob sich Elisabeth und Ingela kannten. Elisabeth könnte zum Beispiel in dem Blumenladen eingekauft haben, in dem Ingela gearbeitet hat.«
In einer der Schreibtischschubladen fand Irene Elisabeth Lindbergs Telefonverzeichnis. Hannu schaltete ihren Computer ein. Links zu Dating-Seiten gab es keine. Auch Ingela Svensson hatte solche Homepages nicht besucht. Keine der beiden war bei Facebook oder auf ähnlichen Seiten vertreten.
Nichts deutete daraufhin, dass Elisabeth Lindberg je mit Leif Karlberg Kontakt gehabt hatte. Es sprach auch nichts dafür, dass sich die beiden Mordopfer gekannt hatten. Aus Elisabeths ordentlich geführtem Kassenbuch im Computer ging hervor, dass sie die meisten Pflanzen in der Gärtnerei in Högsbo gekauft hatte. Laut dieser Listung hatte sie im Blumenladen am Frölunda
Torg in den letzten zwei Jahren nicht eingekauft. So weit reichten die Eintragungen zurück.
Im Adressbuch standen nur wenige Namen.
»Sie scheint ein recht ruhiges Leben geführt zu haben«, sagte Hannu.
»Keine Männer. Einzige Hobbys: ihr Garten und das Laufen. Sie hatte auch nicht sonderlich viele Freundinnen. Ellen Ström und noch etwa zehn. Das ist eine weitere Übereinstimmung mit Ingela Svensson. Sie hatte auch keinen sonderlich großen Bekanntenkreis. «
Irenes Blick fiel auf einen Briefhalter aus Bleikristall auf dem Schreibtisch. In ihm steckten etliche Briefe, Ansichtskarten und Zettel. Sie zog den Packen heraus und blätterte ihn durch. Ein kleiner Umschlag mit einer seltsamen Aufschrift zog ihr Interesse auf sich. Mit einem dicken Filzstift hatte jemand »2 Mas. 20,5« darauf gekritzelt.
Sie öffnete den Umschlag. Er enthielt ein Foto. Sie ließ es aus dem Kuvert auf den Schreibtisch fallen. Es kam mit der Rückseite nach oben zu liegen. Vorsichtig drehte sie das Foto um. Elisabeth war darauf zu sehen, wie sie neben dem Ledersofa im Wohnzimmer stand. In der Hand hielt sie eine Kaffeekanne. Sie lächelte den Besucher an, der auf dem Sofa saß. Er schaute zu ihr auf und hielt ihr seine Kaffeetasse hin. Auch er sah fröhlich aus. Mutter und Sohn, die sich miteinander wohlzufühlen schienen. Ein schönes Bild einer alltäglichen Situation. Es hatte nichts weiter Bemerkenswertes oder Bedrohliches, wenn man einmal davon absah, dass der Fotograf in dem kleinen Gärtchen vor dem Wohnzimmerfenster gestanden haben musste, um die Aufnahme zu machen.
Eine ganz ähnliche Aufnahme also wie jene, die sie bei Ingela Svensson gefunden hatten. Das konnte kein Zufall sein.
Irene betrachtete das Foto eine Weile nachdenklich und sagte dann:
»Ich glaube, das ist eine Spur, die zum Mörder führt. Er hat das Foto aufgenommen und etwas auf den Umschlag geschrieben. Ich kann aber nicht recht entziffern, was da steht. Du vielleicht?«
Hannu schüttelte den Kopf.
»Wir müssen versuchen, es zu entschlüsseln … ›2 Mas. 20,5‹ … Das sagt mir nichts«, meinte Irene.
Hannu schien sich zu konzentrieren, zuckte dann aber bedauernd mit den Schultern.
»Mir auch nicht.«
Da hatte Irene eine Idee. Sie ging
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