Der im Dunkeln wacht - Roman
geradewegs in die Küche und öffnete die Schranktüren unter der Spüle. Der Mülleimer hing auf der Innenseite der einen Tür. Sie lag zuoberst, Irene brauchte nicht einmal im Müll zu wühlen. Elisabeth musste die weiße Chrysantheme in den letzten Tagen erhalten haben, denn sie war kaum verwelkt.
»Er ist es wirklich«, stellte Irene fest.
Hannu war ihr in die Küche gefolgt und hatte sich neben sie gestellt.
»Morgen gehe ich noch einmal alles durch. Vielleicht hat er ja schon früher Frauen bedroht. Ohne zu töten«, sagte er.
Jeder Ermittler wusste, dass manche mit einer Stecknadel anfingen und mit einer Silberschale aufhörten. Das galt zwar für Diebe, ließ sich aber auf die meisten Kriminellen übertragen. Die Mehrzahl der Sexualmörder hatte bereits Kontakt mit der Polizei gehabt. Oftmals war es zuvor um Delikte wie um Exhibitionismus, Besitz von Kinderpornographie oder andere Sexualverbrechen im Internet, Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung oder ähnliches gegangen. Es sprach viel dafür, dass sich der Mann, den sie suchten, in ihren Listen fand.
»Gute Idee. Ich fahre nach Landvetter und hole Tobias Lindberg ab, seine Maschine landet in einer guten Stunde«, sagte Irene.
Bevor sie aufbrach, unternahm sie noch einen letzten Versuch,
Elisabeth Lindbergs Handtasche zu finden. Sie lag nirgends in der Wohnung. In dieser Handtasche mussten sich ihr Kalender, ihre Brieftasche, ihre Schlüssel und anderes, was man so brauchte, befinden. Das Handy hatte zum Aufladen auf der kleinen Kommode im Schlafzimmer gelegen.
Im Hinblick darauf, wie leer der Kühlschrank gewesen war, überlegte Irene, ob Elisabeth Lindberg vielleicht gerade einkaufen gewesen und danach nicht mehr in ihre Wohnung zurückgekehrt war. Elisabeth Lindbergs Dienst hatte erst um 22 Uhr begonnen. Vielleicht war sie ja am früheren Abend einkaufen gefahren und erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückgekommen. Außerdem hatte es in Strömen geregnet. Es gab vermutlich keine Zeugen für eventuelle Vorfälle auf dem Parkplatz.
»Wir müssen herausfinden, welches der Autos auf dem Parkplatz ihr gehört. Ihre Handtasche und ihre Brieftasche sind verschwunden. Ich denke, sie kam gerade vom Einkaufen zurück, als er sie überfallen hat«, sagte Irene.
»Ich werde das im Zulassungsregister überprüfen«, sagte Hannu.
Irene erkannte Tobias Lindberg von den Fotos in der Wohnung seiner Mutter wieder. Er war bleich und abgekämpft, als er die Ankunftshalle betrat. Er tat Irene leid. Im Auto erzählte sie ihm, dass Ellen Ström seine Mutter identifiziert habe. Es gelang ihm nicht, sich noch länger zu beherrschen, und er begann zu weinen. Als ihn Irene fragte, wohin sie ihn bringen solle, antwortete er mit Nachdruck, er wolle sofort in die Gerichtsmedizin, um sie zu sehen. Irene rief dort an und erkundigte sich, ob sie so spät abends noch vorbeikommen könnten. Der Hausmeister bejahte ihre Frage. Also fuhr Irene zum zweiten Mal am diesem Tag in die Gerichtsmedizin.
Bis Irene schließlich nach Hause konnte, war es ziemlich spät geworden. Es war vollkommen dunkel, aber immerhin regnete es nicht mehr. Tobias wollte bei einem Freund in der Linnégatan wohnen, bis die Polizei die Wohnung seiner Mutter komplett durchsucht hatte. Also setzte Irene Tobias noch ab, und sie einigten sich darauf, dass Irene am nächsten Tag wieder in der Linnégatan vorbeikommen würde, damit sie sich in Ruhe unterhalten konnten. Er war im Augenblick zu aufgewühlt, und Irene war zu müde.
Auf dem Heimweg hielt Irene noch bei der Wohnung in Guldheden. Das hatte sie eigentlich am Wochenende tun wollen, aber wegen der Vertretung Jonny Bloms hatte sie dafür keine Zeit gefunden. Nach dem Tod ihrer Mutter vor einem Jahr hatten sie die Wohnung untervermietet. Doch jetzt war ihre nette Mieterin nach Stockholm gezogen, und Irene und Krister wussten nicht, ob sie die Wohnung wieder vermieten sollten. Die Eigentümergemeinschaft hatte ihnen zu verstehen gegeben, dass man Untervermietung nicht gerne sah. Eine Zeitlang erwogen sie ernsthaft, selbst dort einzuziehen. Das Reihenhaus verkaufen und in die Stadt ziehen. Warum nicht? Die Zwillinge waren aus dem Haus, und Sammie war tot. Sie hatten auch darüber gesprochen, wieder einen Hund zu kaufen, dann aber gefunden, dass dies dem Tier gegenüber nicht fair gewesen wäre. Es hätte viel zuviel Zeit allein verbringen müssen. Aber ohne das Geräusch von Pfoten auf dem Parkett kam Irene ihr Haus jetzt manchmal leer und
Weitere Kostenlose Bücher