Der im Dunkeln wacht - Roman
sich, die Leiche zu identifizieren.
Hinter einer geschlossenen Tür in der Rechtsmedizinischen Abteilung waren Stimmen zu hören. Die Tür öffnete sich, und heraus kann ein junger Mann in weißem Kittel. Noch ehe sich die Tür wieder geschlossen hatte, zog er ein Handy aus seiner Brusttasche. Er hielt es ans Ohr und begann zu sprechen. Irene hörte, wie er flüsterte: »Ich besuche gerade ein Seminar in der Gerichtsmedizin und kann jetzt nicht kommen.« Durch den Türspalt drang die kräftige Stimme von Professorin Stridner: »… Algor mortis … keine Wärme, bevor es nicht ein Temperaturgefälle in Relation zur Körperoberfläche … einige Stunden …« Was das bedeutete, wusste Irene nicht. Sie war nur erleichtert darüber, dass Professorin Stridner in einem Saal eingesperrt war und nicht zu ihnen herauskommen würde. Gleichzeitig dachte sie voller Mitleid an die armen Chirurgen, die in die Geheimnisse der Gerichtsmedizin eingeweiht wurden. Vermutlich kein Spaziergang, wie sie die Professorin kannte.
Irene bekam einen Gehilfen der Rechtsmedizin zu fassen, mit
dem sie früher bereits zu tun hatte, und bat ihn, sie in den Kühlraum zu begleiten. Er zog eine Bahre aus einem der Fächer und zeigte ihnen das Gesicht des Opfers. Ellen Ström identifizierte die Leiche als Elisabeth Lindberg.
In Kobbegården standen dreistöckige graue Mietshäuser aus Stein aus den 70er Jahren, die damals angepflanzten Bäume waren mittlerweile groß und üppig. Zu den Wohnungen im Erdgeschoss gehörten kleine Gärtchen. In einer solchen Wohnung hatte Elisabeth Lindberg gewohnt. Eine kleine Dreizimmerwohnung mit großem Panoramafenster nach Westen. Durch das Fenster und die Terrassentür blickte man auf ein prunkvoll blühendes Rosenbeet sowie blaugestrichene Gartenmöbel auf der gepflasterten Terrasse. Das Nachbargrundstück war durch einen mannshohen Zaun abgetrennt, und um sich vor Blicken aus den gegenüberliegenden Wohnungen zu schützen, hatte Elisabeth Lindberg ein paar üppige Jasminbüsche gepflanzt. Im Kleiderschrank in der Diele hingen Mäntel, einige davon in Hüllen verpackt. Ganz unten standen ordentlich beschriftete Schuhkartons : »Schwarze Edelpumps« und »Weiße Sandaletten«, las Irene auf den Etiketten. Bei dieser Dame herrschte wirklich Zucht und Ordnung, dachte sie und erinnerte sich an das Durcheinander in ihren eigenen Schränken. Auf dem Brett über der Kleiderstange standen ein paar Handtaschen. Irene nahm sie herunter und durchsuchte sie. Weder Handy, Brieftasche noch Schlüssel waren darin zu finden. Die Handtasche, die Elisabeth Lindberg benutzt hatte, als sie ermordet worden war, fehlte offensichtlich. Vielleicht hatte sie aber auch einfach, was sie brauchte, in ihre Jackentaschen gesteckt. Die Ordnung der Wohnung deutete jedoch darauf hin, dass Elisabeth Lindberg nicht zu den Leuten gehört hatte, die einfach alles in die Taschen steckten. Sie hatte sicher immer eine Handtasche bei sich gehabt.
Das Wohnzimmer war mit einer Couchgarnitur aus Leder,
einem Glastisch, einem dicken Teppich in leuchtenden Farben und einem großen Flachbildfernseher möbliert. Vor dem Fernseher stand außerdem noch ein großer einladender Sessel mit Fußschemel. Das Schlafzimmer war recht durchschnittlich, ein breites Bett mit passendem Nachttisch, eine Kommode, die für Irenes ungeübtes Auge wie eine Antiquität wirkte, und zwei dazu passende Stühle mit bestickten Sitzkissen. Auf der Kommode standen ein paar gerahmte Fotos desselben Jungen, die ihn in unterschiedlichem Alter zeigten. Auf dem letzten Foto als ernsten jungen Mann mit Studentenmütze. Offensichtlich Tobias, der Sohn. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Elisabeth Lindberg.
Die eine Wand bestand ganz aus Schränken. Irene durchsuchte sie methodisch, ohne etwas Ungewöhnliches zu entdecken. In einem der Schränke lagen Joggingsachen und verschiedene Joggingschuhe. Auf der Innenseite der Schranktür hingen die Platzierungslisten von Wettläufen. Elisabeth Lindberg hatte einige Male recht gut beim Göteborgsvarvet und ähnlichen Wettläufen abgeschnitten.
Die Küche war weiß. Um den ovalen Tisch mit dünnen Stahlrohrbeinen standen vier Myran-Designerstühle. In der Speisekammer fanden sie eine geöffnete Flasche Rotwein und im Kühlschrank zwei Flaschen Bier. In einem Plastikgefäß lagen die Reste eines Hühnergerichts, das noch recht frisch aussah und roch. Im Übrigen war der Kühlschrank fast leer.
Der kleinste Raum war Elisabeth Lindbergs
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