Der im Dunkeln wacht - Roman
Friseur.«
Irene erinnerte sich an die schönen, glänzenden roten Strähnchen in Elisabeths braunem, feuchtem Haar.
Sie unterhielten sich noch eine Weile, aber Tobias schien die Luft ausgegangen zu sein. Das war nur zu verständlich. Irene fand, dass er ungeheuer stark gewesen war und ihr eine Reihe wichtiger Informationen geliefert hatte. Sie wusste jetzt, wann die weiße Blume abgelegt worden war. Er hatte bestätigt, dass es keinen neuen Mann in Elisabeths Leben gegeben hatte. Außerdem stand nun mit Sicherheit fest, dass sie nach halb acht das Haus zum Einkaufen verlassen hatte. Jetzt blieb abzuwarten, ob sich mit Hilfe der Nachbarin, die das sich umarmende Paar auf dem Parkplatz gesehen hatte, der Zeitpunkt des Mordes noch genauer eingrenzen ließ.
Die Zeugin hieß Tove Josefsson und wohnte in der Wohnung über Elisabeth Lindberg. Einige Sekunden nachdem Irene geläutet hatte, wurde die Tür weit geöffnet. Eine Frau um die Vierzig lächelte sie an. Sie war mollig und wirkte, als sei sie in den
siebziger Jahren hängengeblieben. Ein langärmeliges Herrensweatshirt in Feinripp, eigenhändig weinrot gefärbt, ein passendes Tuch um das wuschelige blondierte Haar geschlungen und weite, dunkellila Hosen aus einem weichen Stoff. In dem einen Nasenflügel trug sie einen funkelnden blauen Stein. Natürlich trug sie keinen BH. Strümpfe ebenfalls nicht. Ihre Füße steckten in kirschroten Crocs. Das schien das einzige Kleidungsstück aus dem neuen Jahrtausend zu sein.
»Hallo, ich bin Irene Huss von der Kriminalpolizei. Sind Sie Tove Josefsson?«
»Was? Ja. Ich dachte, Ihr Kollege von vorhin würde noch einmal kommen …« Die Frau konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. Ihr freundliches Lächeln erlosch. Kriminalinspektor Lars Holmberg war zwar ein Prachtkerl, aber Irene hätte Tove Josefsson sagen können, dass er verheiratet war und drei Kinder hatte.
»Darf ich reinkommen?«, fragte sie.
»Natürlich, entschuldigen Sie. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten? Ich habe eben erst welchen gekocht …«
Wohl kaum für mich, dachte Irene, sagte das aber nicht. Tove Josefsson trat beiseite, um sie eintreten zu lassen. Die Wohnung war genauso geschnitten wie die von Elisabeth Lindberg, war aber ganz anders eingerichtet. Offenbar hatte Tove ein Indien-Faible. Auf niedrigen Tischen und Wandborden standen Kerzen in kleinen bunten Glasschalen. Der Geruch von Räucherstäbchen war durchdringend und vermischte sich mit dem bedeutend angenehmeren Kaffeeduft. Tove betrat vor Irene das Wohnzimmer. Ein Mobile aus Muscheln setzte sich in dem Luftzug leise klimpernd in Bewegung.
»Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Tove und deutete auf einen niedrigen Diwan, der mit einem brokatähnlichen grünen Stoff bezogen war.
Irenes Knie knackten bedenklich, als sie Platz nahm. Als sie
es sich bequem gemacht hatte, konnte sie immerhin feststellen, dass der Diwan gemütlich war und die Rückenpolster ausgezeichnet.
Irene nutzte die Gelegenheit, sich umzuschauen. An den Wänden hingen Fotos von exotischen Orten. Ein Sonnenaufgang über einer Wüstenlandschaft, die Innenansicht eines japanischen Tempels, schneebedeckte Hochebenen in strahlendem Sonnenschein, Löwen mit zerzaustem Fell, die in die Kameralinse gähnten … Sehr schöne Bilder.
»Haben Sie alle diese Fotos aufgenommen?«, fragte Irene.
»Nicht alle, aber die meisten. Sie entstanden alle auf meinen Reisen, manchmal habe ich noch einen Fotografen dabei. Ich reise ziemlich viel.«
»Deswegen haben Sie zunächst auch nicht gewusst, dass Elisabeth Lindberg ermordet wurde?«
»Genau. Das ist so … furchtbar! Elisabeth, die Ärmste! Von ihrem Sohn mal ganz abgesehen.«
Tove riss ihre blauen Augen auf. In ihrem Blick konnte Irene die nackte Angst lesen. Es fiel ihr auf, dass die Journalistin erschauerte. Hatte sie etwa Angst? Sie war tatsächlich im richtigen Alter, und Single war sie offenbar auch.
Tove strich eine widerspenstige Locke beiseite, die unter ihrem Tuch hervorgekommen war, und schob sie dann wieder zurück.
»Ja, das ist wirklich ein fürchterliches Verbrechen. Könnten Sie mir vielleicht erzählen, was Sie am Montagabend gesehen haben?«, fragte Irene.
»Natürlich. Der Fotograf und ich kamen aus Südafrika zurück. Wir waren anlässlich einer Weinreportage für eine Gourmetzeitschrift dort. Gegen sieben landeten wir in Landvetter. Es dauerte einige Zeit, bis wir alles im Auto verstaut hatten, außerdem regnete es in Strömen. Ich fuhr Hasse, den
Weitere Kostenlose Bücher