Der im Dunkeln wacht - Roman
Meter zu gehen. Ich kann mich an keinen fremden Wagen erinnern. Aber es muss wohl einer dort gestanden haben. Sonst hätte er sie schließlich nicht mitnehmen können, um was auch immer mit ihr zu machen.«
Irene sah, wie Tove erblasste.
»Treibt hier in der Gegend irgendein Verrückter sein Unwesen ? Ich meine … Besteht für mich und andere Frauen hier im Viertel Gefahr?«, fragte sie und schaute Irene durchdringend an.
Irene versuchte beruhigend zu klingen, als sie antwortete:
»Wahrscheinlich nicht, aber viel können wir noch nicht sagen. Wie Sie vielleicht wissen, haben wir vor einigen Tagen noch eine Tote gefunden, die offensichtlich demselben Täter zum Opfer fiel. Sie wohnte in der Såggatan in Majorna. Das ist ja ein ziemliches Stück von hier weg.«
Tove nickte.
»Ich bin letzten Dienstag nach London gefahren, um ein großes Projekt zu besprechen, und bin gestern Abend erst nach Hause gekommen. Aber ich habe im Internet darüber gelesen. Die Tote wurde auf dem Westfriedhof gefunden, in Folie verpackt wie Elisabeth. Schauderhaft!«
Irene nickte nur.
»Wie hat er sie umgebracht?«, fragte Tove mit zitternder Stimme.
»Wir haben noch nicht einmal den Obduktionsbericht für das erste Opfer bekommen. Es dauert noch einige Tage, bis wir das sicher wissen.«
Bewusst ließ sie nichts darüber verlauten, dass der Mörder in beiden Fällen seine Opfer mit einer dünnen Wäscheleine erdrosselt hatte. Bisher war darüber auch nichts zu den Zeitungen gedrungen, aber das war erfahrungsgemäß nur eine Frage der Zeit. Irene erhob sich mit schmerzenden Knien. Sie ließ Ihre Visitenkarte zurück, für den Fall, dass Tove noch etwas einfallen würde.
Irene parkte auf dem Gästeparkplatz. Gegenüber hatte Elisabeths roter Golf gestanden. Dieser befand sich jetzt in der Tiefgarage des Präsidiums, weil ihn die Kriminaltechniker genauestens unter die Lupe nehmen wollten. Irene glaubte zwar nicht, dass sie in dem Wagen etwas finden würden, aber man konnte es nie wissen. Vielleicht hatte der Mörder unabsichtlich etwas angefasst.
Plötzlich merkte Irene, wie müde sie war. Es schauderte sie, und der menschenleere, dunkle Parkplatz kam ihr unheimlich vor. War er in der Nähe? Stand er irgendwo und beobachtete sie? Schnell stieg sie in ihren Wagen und fuhr davon.
»Paketmörder! Göteborger Westen in Angst und Schrecken!«, schreiben die Zeitungen.
Paketmörder? Soll ich das sein? Die wissen nicht, wovon sie reden ! Ich habe sie gerettet! Ich bin der Retter! Sie erhalten ihre gerechte Strafe, aber ihre Seelen werden erlöst.
O du elender Sünder! Wie soll ich das Herz trösten? Wie denn den Sinn erhöhen? Wer erlöst mich von Sünden? Hilf mir, Jesu, doch einmal! Heb mich aus der Welten Schlinge! Öffne mir den klaren Himmel!
Das ist klar und deutlich. Durch die Schlinge sollen die Sünder erlöst werden und in den Himmel kommen. Daran habe ich nie gezweifelt. Das ist der einzige Weg. Unsere Abmachung ist glasklar: Ich bringe Tausenden Gnade, wenn man mich liebt und meine Gebote hält. Wenn man gegen meine Gebote verstößt, dann muss ich der Strafende werden. Dein Wille geschehe.
K rister war schon zu Hause und stand am Herd. Aus einem großen Topf duftete es wunderbar nach frischen Kräutern und Safran. Wie immer, wenn er kochte, trug er ein weißes T-Shirt und Jeans. Irene bewunderte die Bewegung seiner Muskeln, wenn er mit Töpfen und Pfannen jonglierte. Lautlos schlich sie sich an ihn an. Dann stellte sie sich auf die Zehen und küsste ihn in den Nacken. Sie umarmte ihn, stellte sich vor ihn und küsste ihn auf den Hals, knabberte an seinem Ohrläppchen und strich ihm mit der Hand über Brust und Bauch. Sie fand in diesem Augenblick, er sei der anziehendste Mann auf Erden.
»Du … nicht jetzt«, sagte er kurz.
Blitzschnell trat sie einen Schritt zurück und sah ihn an. Sie hatte das Gefühl, er habe ihr eine kalte Dusche verpasst. Wütend ließ Krister den Löffel in den Topf Bouillabaisse fallen, in dem er gerade gerührt hatte. Die goldgelbe Suppe spritzte auf den Herd.
»Entschuldige bitte, aber ich bin so wahnsinnig wütend! «, sagte er grimmig.
Ihre Enttäuschung wurde von Erstaunen abgelöst. Krister war doch sonst immer so ausgeglichen. Wahrscheinlich lag das daran, dass er konfliktscheu war und alle Frustration in sich hineinfraß. Es gab einen Grund, warum Leute an Erschöpfungsdepressionen erkrankten. Das hatte Irene oft gedacht, als Krister an dem Burn-out-Syndrom gelitten hatte.
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