Der im Dunkeln wacht - Roman
Jahre … Dann muss er damals drei Jahre alt gewesen sein«, stellte Irene fest, nachdem sie rasch nachgerechnet hatte.
»Das kann stimmen. Er wohnte bei seiner Großmutter Signe. Sie war von Anfang an Stammkundin hier. Unterhielt sich immer gerne mit einem. Oft hatte sie den Jungen dabei. Mein
ältester Sohn und Daniel sind fast gleichaltrig, aber Alexander wollte nie mit Daniel spielen. Sie haben ein paar Anläufe genommen, aber es funktionierte nie. Alex fand den Jungen seltsam«, sagte Theo.
Das war dasselbe Wort, das die anonyme Frau in Bezug auf Daniel verwendet hatte. Seltsam.
»Inwiefern war er seltsam?«, fragte Irene.
»Tja … Er war immer so abwesend. Er sprach nicht viel und wirkte auch etwas beschränkt. Manchmal sagte er so komische Sachen, aber meist sagte er überhaupt nichts.«
»Sie wohnen also auch hier in der Gegend?«
Irene machte eine vage Handbewegung, die die nächsten Hochhäuser einschloss.
»Recht nahe. In Järnbrott, in der Rundradiogatan. Dort wohnen wir seit unserer Heirat.«
»Dann haben Sie ja Daniel im Laufe der Jahre oft getroffen. Können Sie uns noch mehr erzählen?«, fragte Irene.
Theo nickte und erhob sich.
»Entschuldigen Sie. Ich muss mich rasch um ein paar Kunden kümmern. Das dauert nicht lang. Trinken Sie so lange eine Tasse Kaffee«, sagte er. Er deutete auf eine Glaskanne auf einer Warmhalteplatte. Daneben standen Pappbecher. Irene goss Kaffee in zwei Becher, ließ in den einen zwei Stück Würfelzucker fallen und gab ihn Jonny. Sie trank ihren Kaffee wie immer schwarz. Auf dem Tisch stand eine große Schachtel Nussplätzchen. Ohne zu zögern, öffnete Jonny den Deckel und nahm eines. Irene tat es ihm aus zwei Gründen nicht nach. Sie fand es einerseits unhöflich, sich einfach so zu bedienen, andererseits saßen ihre Hosen in letzter Zeit etwas eng. Sie hatte jedoch wenig Zeit zu trainieren, also musste sie bei Süßem etwas zurückstecken.
Theo kehrte ins Zimmer zurück, goss sich ebenfalls Kaffee in einen Becher und nahm wieder Platz.
»Daniel … Er wohnte bei seinen Großeltern. Soweit ich weiß,
waren seine Eltern tot. Ungewöhnlich. Ich meine, dass beide in so jungen Jahren gestorben sind.«
Nachdenklich nahm er ein Plätzchen aus der Schachtel und brach es in kleine Stücke. Irene staunte: Genau das hatte ihr ehemaliger Chef, Kommissar Sven Andersson, auch immer gemacht. Aber diese Zeiten waren vorüber. Jetzt war Efva Thylqvist Chefin, und die aß keine Plätzchen. Bei dem Gedanken an die Kommissarin nahm Irene aus purem Trotz ebenfalls ein Nussplätzchen.
»Daniel war immer etwas seltsam. Vermutlich hat er auch heute noch nicht sonderlich viele Freunde. Jedenfalls ist mir das nie aufgefallen. Und er hat nie viel geredet. Aber für seine Großmutter tat er immer alles. Der Großvater starb … Tja, zwanzig Jahre wird das jetzt auch her sein. Aber Daniel wohnte weiterhin bei seiner Großmutter, bis diese ebenfalls starb.«
»Aber er wohnt doch immer noch in ihrer Wohnung?«, fragte Irene.
»Ja. Er hat ihren Mietvertrag übernommen. Das war gut für ihn, glaube ich. Er war sehr traurig, als sie starb. Ließ sich daraufhin eine Zeitlang gehen, kam dann aber wieder auf die Füße. Jetzt ist er normal wie immer … oder so normal, wie Daniel eben werden kann.«
» Wissen Sie, ob er Drogen nimmt oder trinkt?«, warf Irene ein.
»Ich habe ihn nie betrunken oder so erlebt. Ich glaube, dass er weder trinkt noch raucht. Das hat seine Großmutter jedenfalls behauptet. Signe ging regelmäßig in die Kirche und nahm den Jungen manchmal mit. Sie war nett zu ihm. Obwohl ich auch das Gefühl habe, dass sie streng sein konnte und ihm keine Freiheiten erlaubte. Vielleicht trinkt er ja deswegen nichts. So was gibt es hier in der Gegend oft.«
»Ist Ihnen je zu Ohren gekommen, dass Daniel gewalttätig geworden wäre?«, fragte Jonny.
»Nein. Nie. Aber ich kenne ihn auch nicht so gut. Vermutlich tut das niemand.«
»Und Sie finden, dass er dem Phantombild ähnlich sieht?«, fuhr Jonny fort.
»Ja. Eindeutig. Es war allerdings Melina, die das Bild in der Zeitung entdeckt hat. Sie hat sofort gesagt: ›Das ist doch dieser Daniel.‹«
»Ist Ihnen an ihm irgendein übler Geruch aufgefallen?«, fragte Irene.
Theo zog fragend die Brauen hoch, sagte aber nichts. Er dachte eine Weile nach und antwortete dann:
»Als er klein war, roch er manchmal nach … Urin. Er fing an, sich in die Hosen zu machen, als er in die Schule kam. Die anderen Kinder verspotteten ihn
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