Der im Dunkeln wacht - Roman
einmal Zigarettenrauch hing in der Luft, es war nur allgemein schlecht gelüftet und schwül.
Das Wohnzimmer war spartanisch möbliert. Durch das große Fenster auf den Balkon fiel sehr viel Licht, das aber durch den Schmutz auf den Scheiben etwas gedämpft wurde. Die moosgrüne Strukturtapete absorbierte das restliche Licht. Die Couchgarnitur war mit einem ziegelbraunen Wollstoff bezogen. Denselben ziegelbraunen Farbton besaß auch der verschlissene gewebte
Teppich. Im Regal an der Längswand standen einige Billigausgaben einer Klassikeredition. Daneben ein paar in Leder gebundene Romane sowie mehrere Bibeln und Gesangbücher. In der Mitte der Regalwand stand ein älterer Fernseher, aber kein Videoapparat. CD-Player oder Computer konnte Irene ebenfalls nicht entdecken. Offenbar interessierte sich Daniel nicht für Unterhaltungselektronik. Diese Geräte konnten sich allerdings hinter der verschlossenen Tür in der Diele verbergen. Bevor sie wieder gingen, wollte Irene noch schnell einen Blick in dieses Zimmer erhaschen. Auffällig fand Irene, dass keinerlei Bilder an den Wänden hingen. Allerdings gab es mehrere Stellen, an denen die Tapete etwas heller war. Auch Spuren von Nägeln waren noch auszumachen.
Jonny und Irene nahmen auf dem Sofa Platz. Daniel blieb stehen, bis ihn Jonny dazu aufforderte, ebenfalls Platz zu nehmen. Gemächlich ging er auf einen der Sessel zu und ließ sich fallen. Der leere Ausdruck seiner Augen hatte sich nicht im Geringsten verändert. Auch hatte er immer noch kein Wort gesagt.
»Die Sache ist die, Daniel, eine Person ist am Ort eines Verbrechens gesehen worden. Es geht um die sogenannten Paketmorde. Sie haben sicher das Phantombild gesehen, das wir nach Zeugenangaben haben anfertigen lassen. Zwei verschiedene Personen haben ausgesagt, dass Sie diesem Phantombild ähneln. Deswegen müssen wir uns mit Ihnen unterhalten, wir wollen wissen, ob Sie sich zum fraglichen Zeitpunkt in der Nähe des Tatortes befunden und dort etwas gesehen haben, was uns bei unserer Ermittlung weiterhilft.«
Daniel betrachtete Jonny lange und unverwandt. Sein Blick war immer noch vollkommen ausdruckslos.
»Welcher Ort?«, fragte er träge.
»Der Tatort«, antwortete Jonny.
»Welcher Ort?«, wiederholte Daniel.
Jonny wirkte etwas verlegen, aber Irene verstand, was Daniel meinte.
»Der Westfriedhof«, antwortete sie.
Ohne sich ihr zuzuwenden, fragte Daniel ebenso tonlos:
»Wann?«
Es gab keine Möglichkeit, sich zu beraten, also musste Irene improvisieren.
»Diese Frage können wir aus ermittlungstechnischen Gründen noch nicht beantworten«, sagte sie.
»Wer?«, fuhr Daniel unberührt fort.
Jonny sah den seltsamen jungen Mann, der ihn mit seinen farblosen Augen fixierte, finster an.
»Wir stellen hier die Fragen«, sagte er und unternahm damit den Versuch, die Initiative zurückzugewinnen.
»Ich habe das Recht, das zu erfahren«, entgegnete Daniel.
Die Stimme klang rau und kratzig, als sei er erkältet. Vielleicht war er es aber einfach nur nicht gewohnt, sie zu verwenden. Er sprach langsam und unmoduliert. Vielleicht hörte er ja schlecht. Das würde auch erklären, warum er ungerne sprach. Aber ihre Fragen hatte er ja offenbar verstanden. Irene wurde nicht schlau aus ihm.
»Zur Frage, wer es war, äußern wir uns auch nicht. Wir sichern unseren Zeugen Anonymität zu«, sagte Irene.
»Dann kann ich nicht antworten.«
Er sah immer noch unablässig Jonny an. Obwohl er auf Irenes Fragen reagierte, würdigte er sie keines Blickes. Seltsam. Wirklich ein komischer Kauz, genau wie Theo Papadopoulos gesagt hatte.
»Warum nicht?«, fragte Jonny.
»Ich muss meine Verleumder kennen«, antwortete Daniel ebenso unbeirrt.
Verleumder? Eine seltsame Art, sich auszudrücken. Altmodisch.
Irene nahm den Geruch von Fußschweiß wahr. Die Glasscheibe des Couchtisches hatte in einer Ecke einen Sprung. Unbekümmert streckte Daniel seine Füße unter den Tisch. Durch die großen Löcher in seinen Socken waren seine schmutzigen Zehen zu sehen. Seine Fingernägel waren lang und hatten schwarze Ränder. Schmutzig und ungepflegt, aber kein übelkeiterregender Gestank, dachte Irene.
»Wenn Sie unsere Fragen nicht beantworten, müssen wir Sie ins Präsidium mitnehmen«, sagte Jonny. »Das wäre doch unnötig. «
Er bediente sich wieder dieses väterlichen Tonfalles, auf den er gelegentlich zurückgriff. Meist funktionierte er, aber Daniel war vollkommen unbeeindruckt.
»Ich hole nur eben ein Stück
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