Der im Dunkeln wacht - Roman
gehört haben, dass du es bist«, sagte Inspektor Lars Holmberg.
Irene fühlte sich plötzlich wieder geborgen. Mit fester Stimme erzählte sie, was vorgefallen war. Außerdem berichtete sie knapp von den früheren Vorfällen in ihrem Garten, dem Diebstahl von Kristers Brieftasche und den anderen Schikanen, die die Familie heimgesucht hatten. Währenddessen kümmerten sich die Beamten aus dem anderen Streifenwagen um Krister und brachten ihn in die Notaufnahme des Sahlgrenska-Krankenhauses. Irene sorgte dafür, dass er sein Handy mitnahm, damit sie ihn erreichen konnte.
Während Irenes Bericht war Holmberg immer ernster geworden. Als sie fertig war, sagte er:
»Du kannst heute Nacht nicht hier bleiben. Zwei Leute bleiben, bis der diensthabende Glaser kommt. Wir haben zwei Streifen in der Gegend, die nach Verdächtigen Ausschau halten. Wir fahren dich in ein Hotel, Krister kann dann dorthin nachkommen.
Wir warten, während du ein paar Sachen zusammenpackst. «
Erst wollte Irene protestieren, sah dann aber ein, dass das keinen Sinn hatte. Es handelte sich nicht um eine Einladung, sondern um einen Befehl. Die Kollegen mussten ungestört arbeiten können. Sie wusste, dass Angriffe auf Polizei- und Justizbeamte besonders ernst genommen wurden. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das, was sie in der Nacht und am nächsten Tag brauchen würde, zusammenzupacken.
Irene suchte eine kleine Reisetasche und ging wieder hinauf ins Schlafzimmer. Vergeblich versuchte sie, sich darauf zu besinnen, was normale Menschen für eine Übernachtung benötigten. Sie sah ein, dass sie unter Schock stand, und versuchte in aller Ruhe nachzudenken. Trotzdem war ihr Kopf vollkommen leer. Was brauchte sie morgen für Kleider? Tief durchatmen, Irene, tief durchatmen, ermahnte sie sich in regelmäßigen Abständen. Möglicherweise half dies ein wenig, aber ihre Hände zitterten, und ihr Herz schien gelegentlich auszusetzen. Die ganze Zeit hatte sie das Gefühl, dass ihr gleich die Tränen kommen würden. So etwas konnte ihr einfach nicht zustoßen. Nicht in ihren eigenen vier Wänden! Irgendjemand da draußen in der Dunkelheit beobachtete sie, und diese Person war ihnen nicht wohlgesonnen. Sie fühlte sich wie in einem Alptraum. Am schlimmsten war das Bewusstsein, dass sie aus diesem Traum nicht erwachen würde. Ehe sie noch fertig gepackt hatte, kam Lars Holmberg ins Obergeschoss. Er hielt ein Stück Papier in der Hand.
»Das hier lag in dem Blumenkübel«, sagte er ernst.
Er trug Plastikhandschuhe und hielt das Papier vorsichtig an einer Ecke fest. Bei näherer Betrachtung handelte es sich um ein abgerissenes, relativ festes und bräunliches Stück Karton. Lars Holmberg hielt es so, dass sie es lesen konnte. Mit krakeligen Großbuchstaben hatte jemand geschrieben:
»DU GLAUBST, DASS DU DAMIT DAVONKOMMST? IHR
SOLLT AUCH LEIDEN! IHR SOLLT STERBEN! MEINE RACHE KOMMT!«
Irene las die Nachricht mehrere Male. Das durfte einfach nicht wahr sein. Ihr Leben und das ihrer Familie wurde bedroht.
»Katarina!«, sagte sie und sah Holmberg an.
»Wer?«
»Meine Tochter. Meine andere Tochter Jenny wohnt in Amsterdam … Ihre Handynummer wurde nach dem Diebstahl von Kristers Brieftasche gekündigt. Aber Katarina ist bislang nichts zugestoßen. Wir müssen sie anrufen und ihr von den jüngsten Ereignissen berichten. Sie denkt, wir hätten im Augenblick einfach nur Pech. Sie weiß ja nicht, dass …«
Irene hörte selbst, dass sie unzusammenhängend sprach, konnte dagegen aber nichts unternehmen. Die Sorge um ihre Tochter wuchs, und sie ging energischen Schrittes zu dem Telefon, das auf dem Nachttisch stand. Mit zitternden Fingern wählte sie Katarinas Nummer. Es klingelte einige Male, dann hob ihre Tochter ab. Sie murmelte ihren Namen und schien nicht richtig wach zu sein. So behutsam wie möglich erzählte Irene, was geschehen war. Katarina war sofort hellwach. Besorgt erkundigte sie sich nach den Verletzungen ihrer Eltern. Irene beruhigte sie, so gut es ging. Schließlich erzählte sie von dem Zettel, der in der Urne gefunden worden war.
»Du wirst verstehen, dass ich mir Sorgen um dich mache. Du bist schließlich die Einzige in der Familie, der noch nichts zugestoßen ist. Ich will, dass du besonders vorsichtig bist. Geh keine Risiken ein. Verlasse nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr allein das Haus. Solche Dinge eben.«
Irene hörte selbst, wie lächerlich das klang. Katarina ging zwei bis drei Abende die Woche zum Capoeiratraining. Meist
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