Der im Dunkeln wacht - Roman
welche Automarke es sich handelte.«
»Vielleicht erinnern sie sich ja, wenn sich der Schock gelegt hat«, meinte Irene und versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
Plötzlich ging ihr auf, dass sie die naheliegendste Frage vergessen hatte.
»Wie geht es eigentlich Efva?«, fragte sie etwas beschämt.
»Sie war bewusstlos, als der Krankenwagen kam. Der Mann, der sie gerettet hat, hatte etwas Erfahrung mit Erster Hilfe und hat sie, bis zum Eintreffen des Rettungswagens, Mund zu Mund beatmet. Sie war schon weg, als ich dort eintraf«, sagte Jonny.
»Wo bist du jetzt?«
»Am Tatort.«
»Und wo ist das?«
»Sannegårdshamnen. Barken Beatrices Gata. Sie wohnt dort.«
Plötzlich kam Irene etwas in den Sinn. Die Überwachung der Basungatan hatte auf Anordnung von Efva Thylqvist am Freitag aufgehört.
»Hat jemand kontrolliert, wo sich Daniel Börjesson befindet? «, fragte sie.
»Was? Nein. Wir lassen ihn ja nicht mehr überwachen.«
»Können wir sein Handy orten?«
»Der verdammte Idiot hat kein Handy. Jedenfalls ist keines auf seinen Namen angemeldet.«
»Hat er ein Telefon in seiner Wohnung?«
» Weiß nicht. Wenn ja, könnten wir ihn anrufen. Falls er es war, könnte er aber schon wieder zu Hause sein. Um diese Tageszeit ist nicht viel Verkehr. Und seit dem Überfall sind mindestens vierzig Minuten vergangen.«
Irene dachte fieberhaft nach.
»Ruf die Auskunft an, lass dir Daniels Nummer geben und ruf ihn sofort an. Ich fahre in die Basungatan und kontrolliere, ob er zu Hause ist. Außerdem will ich nachsehen, ob dort ein Auto steht, das er benutzt haben könnte. Wenn er bereits zu Hause ist, dann müsste das Auto auf dem Parkplatz vor dem Haus stehen.«
»Okay. Aber du darfst nicht allein zu Börjesson hinaufgehen. Ich verständige die Kollegen in Frölunda. Sie sollen sich mit dir absprechen. Flankiert von zwei kräftigen Burschen sollte dir nichts passieren, falls er es wirklich war.«
Jonnys Fürsorglichkeit rührte Irene richtiggehend.
Jonny rief einige Minuten später wieder an und sagte, Daniel sei nach dem achten Klingeln am Apparat gewesen. Er habe einfach nur gesagt, er habe sich verwählt, und aufgelegt.
Eine Viertelstunde nach Jonnys erstem Anruf saß Irene in ihrem Auto und fuhr nach Västra Frölunda. Zehn Minuten später parkte sie vor Daniel Börjessons Haus. Rasch stieg sie aus und fasste an die Kühlerhauben sämtlicher Autos auf dem Gästeparkplatz. Keine war warm, alle waren eiskalt. Falls Daniel an diesem Abend mit dem Auto unterwegs gewesen war, hatte er es jedenfalls nicht auf dem Gästeparkplatz vor seinem Haus abgestellt. Ob er überhaupt noch über den Parkplatz verfügte, der zur Wohnung gehörte? Wahrscheinlich nicht. Warum sollte er einen Parkplatz mieten, wenn er kein Auto mehr besaß? Es hatte keinen Sinn, die Suche auf den gesamten Parkplatz auszudehnen, denn dort standen Hunderte von Fahrzeugen.
Ein kleines Lämpchen brannte in seinem Wohnzimmerfenster im vierten Stock. Das Licht drang durch das halb geschlossene Rollo. Das Küchenfenster daneben war dunkel. Nachdem sie zur Rückseite des Hauses gegangen war, stellte Irene fest, dass auch in den beiden Schlafzimmerfenstern kein Licht brannte. Schlief er bereits? Als sie zurückging, hielt ein Streifenwagen vor Börjessons Haustür. Irene gesellte sich zu ihrer Verstärkung.
Beide Streifenpolizisten waren zwar kräftig, die eine Hälfte des Duos war jedoch eine blonde Frau. Als sie ausstieg, um sie zu begrüßen, sah Irene, dass ihre Kollegin mehrere Zentimeter größer war als sie selbst. Die Uniform umhüllte breite Schultern, das ausdrucksvolle Gesicht war diskret geschminkt und hätte das eines Fotomodells sein können. Sie strahlte eine ruhige Autorität aus, die in Anbetracht ihres Alters erstaunte. Einige haben sie von Anfang an, andere haben sie nie, dachte Irene.
Sie erzählte ihren jüngeren Kollegen rasch, was geschehen war, bevor sie auf die Klingel neben dem Namen »S. Börjesson« drückte. Es verging eine lange Zeit, ohne dass etwas passierte. Irene wollte gerade ein zweites Mal klingeln, als die Gegensprechanlage rauschte. Sie fing ihren Finger wenige Zentimeter vor dem Knopf ab.
»Ja?«, ließ sich die raue Stimme von Daniel vernehmen.
»Daniel Börjesson? Ich bin das, Inspektorin Irene Huss. Könnte ich ein paar Worte mit Ihnen wechseln?«
Die Stille, die folgte, dauerte fast eine Minute. Schließlich kam nur eine knappe Entgegnung:
»Nein.«
Klick.
Verdattert
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