Der Implex
fortzeugt bis in die raffiniertesten philosophischen Unterscheidungen zwischen synthetischen und analytischen Wahrheiten, Wissen a posteriori und Wissen a priori, Deduktion und Induktion, Empirie und Logik, notwendigen und kontingenten Wahrheiten, Vernunftwahrheiten und Tatsachenwahrheiten und so fortan, ergibt sich aus Defiziten, mit denen die Menschengesellschaft vom Augenblick ihrer Entstehung geschlagen ist, aus der Ursünde, der Vertreibung aus dem Paradies, oder weniger salbungsvoll: daraus, daß die Menschen die Daten ihrer nichtmenschlichen Umwelt überhaupt nur deshalb in einem dem übrigen Tierreich unbekannten Ausmaß mittels des Hirns verrechnen, weil sie anders als andere Arten, denen andere biotische Werkzeuge zu Auskommen und Fortpflanzungserfolgen verhelfen, ohne diese Berechnungen nicht existieren und sich nicht reproduzieren könnten. Der Zwiespalt ist damit historisch und nicht logisch, kontingent und nicht zwangsläufig, a posteriori und nicht a priori, und dennoch ebenso unaufhebbar wie ständiger Grund dafür, über ihn hinweg nach dem zu greifen, was Menschen aus der Natur holen müssen, aber von Natur nicht haben. Dieses Den-Zwiespalt-Übergreifen indes kann nur dann zu einem Akt der Art werden, die Menschen als Arbeit, Aneignung, Produktion kennen, wenn er über eine sozial organisierte Sorte Vermittlung der Gegensätze des Zwecklosen und des Zweckhaften dynamisiert wird. Diese Vermittlung, die zweckhafte Zurichtung des Zwecklosen, ist die Technik, in der, wenn das, was wir gesagt haben, wahr ist, damit das stete Risiko implizit ist, auch die Menschennatur selbst unter ihr fremde Zwecke zu zwingen, da sie nun mal so zwecklos ist wie jede Natur – darin hat für uns, auch wenn uns Pessimismus nicht stärker imponiert als Optimismus, noch die ärgste Technik- und damit Fortschrittsskepsis ihr eben nicht allein moralisch, ethisch, normativ, sondern sogar logisch begründetes Recht, von den plumpsten lebensreformerischen Interpretationen des Marxschen Entfremdungsbegriffs bis zur Anklage des »technoromantischen Abenteuers« durch Karl Kraus beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der den Zweck der Technik, das Zweckhafte mit dem Zwecklosen zu vermitteln, in sein Gegenteil umkippen sieht, bei dem es dem Zweck, als den sich das Leben setzen will, ergeht wie dem Herrn auf Hegels Herr-Knecht-Wippschaukel:
»Der Fortschritt, unter dessen Füßen das Gras trauert und der Wald zu Papier wird, aus dem die Blätter wachsen, er hat den Lebenszweck den Lebensmitteln subordiniert und uns zu Hilfsschrauben unserer Werkzeuge gemacht. Der Zahn der Zeit ist hohl; denn als er gesund war, kam die Hand, die vom Plombieren lebt. Wo alle Kraft angewandt wurde, das Leben reibungslos zu machen, bleibt nichts übrig, was dieser Schonung noch bedarf.« 72
Am Ende dieser Art Fortschritt stünde dann eine Katastrophe, auf die Juvenals Formel et propter vitam vivendi perdere causas paßt,die Marx in der Proudhon-Kritik auf den Schaden münzt, der anarchistischen Sozialtheorien aus ihrem Ausweichen davor erwächst, die Folgen der Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware zu begreifen.
Menschennatur enthält Kommunikationsfähigkeit, Kommunikation steht unter Zwecken, Natur ist zwecklos, Menschen können also zwar über Natur kommunizieren, vorausgesetzt, sie besitzen eine soziale Instanz der Vermittlung zwischen Zweck und Zwecklosigkeit (Technik), aber die Bestimmung der Menschennatur in diesem technischen Rahmen nicht leisten, weil sie in einen paradoxal-infiniten Bestimmungsregreß führen muß: »Der Mensch als Naturwesen« ist das, was, wie alles, was Natur ist, keinen Zweck hat, aber Zweck setzen muß, um zu existieren, dieser Zweck wird damit Bestandteil der Natur einer Sache (des Naturgattungswesens Mensch), die damit, weil nunmehr zweckhaft, nicht mehr Natur ist, was sich aber wiederum durch das Darüberreden nicht ändern läßt, also wiederum doch Natur ist – der Zwiespalt wird durch jeden Versuch, ihn zu überwinden, auf höherer Stufe wiederhergestellt, und die Geschichte dieser Überwindung-als-Wiederherstellung ist, wenn sie durch Technik vermittelt wird, Sozialgeschichte als Produktivkraftgeschichte. Man kann auch versuchen, sie kontemplativ zu vermitteln, dann produziert man Heilsgeschichte oder Hegelianismus, also Überbrückungen des Zwiespalts, die seine Geschichtlichkeit thematisieren, um sie zu leugnen, das heißt: begrifflich loszuwerden statt praktisch.
Heilsgeschichte und Hegelianismus gehen zwar
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