Der Implex
moralische Minimum nie »volle Erkenntnis« sein, sagt Adorno, und es verschlägt in nichts den Respekt vor ihm, wenn wir darauf hinweisen, daß das unbestimmbare Adjektiv »voll« genau jene ominösen Surplusbedeutungsschattierungen von Gewißheit, Infallibilität und also Unkorrigierbarkeit zum Schillern bringt, die wir oben schon bei der abschußfertigen Zurichtung von Bacon-Vogelscheuchen durch die feudale Reaktion (etwa de Maîstre) und Marx-Pappkameraden durch liberale Ökonomen (etwa McCloskey) kennengelernt haben.
Niemand, der Einsicht in historische Zusammenhänge auch ohne mea culpa für erlangbar hält, hat für diese Art Einsicht je Unfehlbarkeit reklamiert, die Fallibilität von Abstraktionen aus der Geschichte war für Bacon, Condorcet, Hegel, Marx, H.G. Wells (um eine fast beliebige Reihe von Namen zu bilden, die dafür stehen, daß man sich der Erkenntnisskepsis auch bei Affirmation historistischer Grundannahmen einer aufgeklärten Wissenssoziologie verweigern kann) und bleibt auch für uns so notwendig gegeben wie die jeder anderen Induktion. Die logische (im Gegensatz etwa zur juristischen oder narrativen) Abschließbarkeit von Untersuchungen über »die Vernunft selber in ihrer geschichtlich überlieferten Gestalt« hat niemand versprochen – wohl aber le bonheur; was wurde daraus?
Das Versprechen fand seine institutionelle Anschrift, wie wir gesehen haben, in der Technik als Vermittlung der menschlichen Zwecke mit dem nichtmenschlich Zwecklosen; alles aber, was eine solche Anschrift hat, wird in Klassengesellschaften sofort Spielmaterial für Ideologisches, bei dem es übrigens anders, als manche sich dekonstruktiv an den »Technowissenschaften« abarbeitende Ideologiekritik nahelegen soll, gar nicht so sehr darauf ankommt, ob die Vermittlung nun ins Dingschema gepreßt (die Technik also beispielsweise in einer Metapher, die La Mettrie nicht übel angestanden hätte, zum »Körper der Gesellschaft« [Bernward Joerges] essentialisiert) oder in transzendentaler Hypostase als Ausdruck neuer, von Hegel noch nicht deutlich genug fixierter Wirkweisen des Weltgeists gelesen wird (letzteres geschieht 1. auf popkulturell anschlußfähige Art seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der »Kalifornischen Ideologie«, in Zeitschriften wie MONDO 2000 und WIRED, bei den von Erik Davis 1998 systematisierten »Techgnostikern«, bei Prophetinnen der Singularität und in Gestalt diverser transgressiver, oft sehr sympathischer Technofetischismen zwischen Transhumanismus und Cyberfeminismus, Vernor Vinge und Donna Haraway und 2. in nicht wenigen anspruchsvollen Versuchen, so etwas wie eine Technikphilosophie zu erfinden, von Gotthard Günther bis Jacques Derrida).
Eskamotiert man den Vermittlungscharakter des Technischen nicht in Refikationen oder Hypostasen, wird auch die Wahrheit sinnfällig, daß es sich dabei nicht um eine Ansammlung von Sachen oder einen Ausdruck von Universalien, sondern um eine soziale Praxis handelt – daß also beispielsweise die vielbesungene IT-Revolution sich weder in der Expression der binären Logik auf digitaler Maschinenstufe noch in Server-, Glasfaserkabel- und LEO-Satelliten-Architekturen erschöpft, sondern die Umstellung auf vernetztes Arbeiten mit gegenüber dem status quo ante enorm vergrößerter Speicherkapazität und Prozessorleistung.
Technik ist das Verfahren, Dinge herzustellen, deren Natur darin besteht, einen Zweck zu haben, im Idealfall also solche, die selbst wieder Dinge herstellen oder dabei helfen – diese letztere Sorte Dinge, Vorrichtungen, »Erfindungen« nennen wir ab jetzt Maschinen oder marxisch »Maschinerie«, was nicht so trivial ist, wie es aussieht, weil unser Maschinenbegriff die Vergleichbarkeit von Sachen impliziert, die unter ihn, aber nicht unter die meisten intuitiven Maschinenauffassungen fallen, zum Beispiel eine Orangenplantage (das ist eine Maschine zur Herstellung von Orangen), Duchamps Bild von der Nackten, welche die Treppe hinuntersteigt (eine Maschine zur Herstellung bestimmter Sinneseindrücke), ein Weizenfeld (eine Maschine zur Herstellung von Getreide) oder die Diracgleichung (eine Maschine zur Herstellung bestimmter Kenntnisse über Elektronen).
Was historisch geschieht, sobald jemandem einmal auffällt, daß alle diese Maschinen außer Orangen, Sinnenseindrücken, Informationen über Elektronen, Kartoffelchips oder CDs als Kollateralsegen schließlich anfangen, Geschichte herzustellen, läßt sich schwerlich
Weitere Kostenlose Bücher