Der Implex
allgemeinen Äquivalent, dem Geld, seine gesamtgesellschaftliche Wirklichkeit zuweisen soll.
Wie gerecht dieser Tausch tatsächlich ist, hängt freilich davon ab, ob sich das Tauschverhältnis auch in zweiter Potenz, als Verkehrsverhältnis zwischen Menschen statt zwischen diesen und der Natur, der Energieerhaltung (man faßt deren erwünschtes Übergreifen über beide Austauschweisen heute gern in den Begriff der »Nachhaltigkeit« des Wirtschaftens zusammen) subsumieren läßt, also dort, wo man beispielsweise als Produzent von Gütern aus Rohstoffen letztere nicht selbst aus dem Boden holt, sondern diese Arbeit jemand anderen tun läßt, dem man dann weniger dafür bezahlt, als das Zeug als Posten im Produktionsprozeß (vom fertigen Produkt also ganz abgesehen) wert ist. Entlang dieser Konstellation haben die ersten Ausbeutungstheorien betreffend die terms of trade zwischen Erster und Dritter Welt oder, wie diese Theorien auch sagten, Zentrum und Peripherie (der entwickelten Warenproduktion und ihrer Märkte nämlich), ihr Ausbeutungsverständnis entwickelt.
Daß eine einmal auf einem Erdteil vorhandene Industrie ein alles andere als geringfügiges Hindernis dafür ist, daß auf einem anderen eine entstehen kann, sobald außerökonomische (etwa militärische) Dispositive eingerichtet werden können, die den »unterentwickelten« Erdteil in ein lohnarbeitsäquivalentes Gesamtabhängigkeits-, beispielsweise: Schuldgefängnis treiben können, bleibt auch nach dem De- und Rekolonisierungsprozeß, der auf den Zweiten Weltkrieg und den Verfall der alten Imperien samt Aufstieg des nordamerikanischen folgte, eine wichtige Wahrheit – 2009, während wir mit der Arbeit an diesem Buch schon gut fortgeschritten sind, erfahren wir aus dem Netz und anderen Nachrichten Interessantes über den Aufstand tunesischer Bergbausklaven in der Region von Gafsa. Tunesien ist, während wir dies hier notieren, also vier Jahre später, gründlich umgewälzt, aber nach wie vor der viertgrößte Phosphatproduzent der Welt. Die 350 km südwestlich von Tunis gelegene Region Gafsa besitzt Vorräte, an deren Förderung pauperisierte Lohnrekruten immerhin besser verdienen als anderswo (doppelt soviel wie im Lohndurchschnitt des Landes), diese ließen sich aber, als die jüngste maschinelle Modernisierung anfing, ihre Arbeitszusammenhänge zu stören und ihr Einkommen zu gefährden, von jungen arbeitslosen Hochschulabgängern – daß es die waren, macht einige Ansichten nicht eben unplausibler, die wir im elften Kapitel dieses Buches vorstellen werden – zum Kampf anleiten, besetzten Gewerkschaftsbüros und zettelten Streiks an, darunter – wie einige Überlegungen im dritten Kapitel schon erwarten lassen – sehr viele, sehr gut sichtbare Frauen. Die programmatische Plattform des Ungehorsams war zunächst moralischer Art, man forderte ab 2008 vor allem einen verstärkten Kampf gegen die Korruption, die Vetternwirtschaft, die nepotistische Bevorzugung der Angehörigen von Managern, wurde aber von der harten staatlichen Antwort bald über diese Forderungen hinausgetrieben in Konfrontationen, bei denen schließlich auch jemand ums Leben kam und andere zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, und das alles, weil sie den Kapitalismus korruptionsfrei, also wenigstens so haben wollen, wie das volks- und betriebswirtschaftliche Ideal ihn malt – der gerechte Tausch ist, erkennt man, ein sehr langlebiges Ideal, das auch von denen für erreichbar und wünschenswert erachtet wird, die ihn mit eigenen Augen noch nie gesehen haben. Auch Protestmaschinen halten sich nicht immer an den Unterschied zwischen notwendig und hinreichend, Grund und Ursache – man sollte ja erwarten, daß jemand, der ohnehin lange Haftstrafen, das Geschundenwerden oder gar die Ermordung durch Büttel riskiert, nicht bescheiden die korrupte Handhabung der Produktionsordnung angreift, sondern gleich diese selber, aber die Negation der Verhältnisse beginnt eben meist über immanente Kritik, nicht über Warenanalyse, und wenn die neuere Wertkritik in Gestalt von Robert Kurz statt solcher militanter Immanenzen lieber die »klassenübergreifende radikale Formkritik des warenproduzierenden Patriarchats« sehen würde 83 , kann man ihm nur antworten, daß er das am ehesten in feministischer Bibelexegese (Stichworte: Prophet Jesaja, Bergpredigt, Geschichte der Maria Magdalena) finden wird und die Frauen von Gafsa jedenfalls gescheiter sind als Kurz und wir zusammengenommen:
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