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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Übers Fressen sind sie schon hinaus, bei der Moral, und die verändert sich dann in den Kämpfen und wird klüger, als man sie am Rechner je entwerfen könnte.
     
    Die Maxime, daß erst das Fressen komme und dann die Moral, war von Brecht zweiseitig gemeint gewesen: einerseits als Spitze gegen alle, die den Armen Zucht predigen, anstatt die Armut abschaffen zu wollen, andererseits aber auch als Beschreibung der Ausgangslage für jeden etwaigen Widerstand gegen die Armutswirklichkeit.
    Daß manche Produktionszweige für den Gesamtstoffwechsel der Gattung mit der Natur wichtiger sind als andere, gilt nicht nur für Revolutionäre, sondern auch für die revolutionärste Form der Mehrproduktgewinnung und Inwertsetzung selbst.
    Die moderne Agrarwirtschaft, das Agro-Food-Business, ist neben der Energiewirtschaft und den Finanzströmen einer der drei zentralen Treibriemen der Entstehung, Durchsetzung und Gestaltung des kapitalistischen Weltmarkts, woraus man lernen kann, daß es bei Klassenfrontverläufen jedenfalls nicht ums Quantitative geht (im führenden kapitalistischen Flächenstaat, den USA, sind noch zwei Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt).
    Die Entwicklung der Agrartechnik zeigt in vivo, was Luxemburg mit den Sätzen meint, die wir von ihr zitiert haben: Abstecken der Bepflanzung, Düngung und Bewässerung waren die Aufgaben der ersten Iteration, die Rotation folgte, ging dem kapitalistischen Zentralereignis, der industriellen Revolution, unmittelbar voraus und schuf entscheidende Voraussetzungen dafür; im neunzehnten Jahrhundert stellten sich dann auf höherer Stufe die neuen Probleme neu, weil Düngungsindustrie und Bodenchemie von einer Umwälzung erfaßt wurden, die ihren Ausgang in der Schöpfung der Organik durch Leute wie Justus Liebig und Friedrich Wöhler hatte, also der Bahnung des Wegs zur synthetischen Herstellung von bislang nur als Produkt des Lebendigen bekannten Stoffen aus anorganischen Ausgangsmaterialien; im zwanzigsten Jahrhundert schließlich führt das alles parallel zur flächendeckenden Mechanisierung und neuen Verfahren der Pflanzenkreuzung bis zu Agrochemikalien einer im Wöhlerzeitalter unbekannten Potenz, zur Gentech und der steten Selbstveredelung der Veredelungsindustrie. 84
     
    Traurigerweise kommt die Bäuerin vor der Revolution selten dazu, Rosa Luxemburg zu lesen.
    Der Beharrungswiderstand (im Gegensatz zum Besitzstandswahrerwiderstand echter herrschender Klassen) gegen alle nennenswerten sozialen Revolutionen, die nicht antikolonial waren (und antikolonial, das darf man nie vergessen, war ja auch die amerikanische, ein seltsames Vorbild für all die armen Kolonien später zwar, aber vielleicht eines, das für Lateinamerika, Asien, den Nahen Osten heute lehrreicher ist als die Entstehung der Sowjetunion), geht zuallererst von agrarischen, also Nahrungsmittelproduktionssektoren aus: Die Französische Revolution hatte blutige Händel mit der Vendée, Stalin ging spät, aber um so brutaler gegen die Kulaken vor, Mao brach, weil er sonst verloren gewesen wäre, jahrtausendealte Produktionszusammenhänge und ersetzte sie durch alles andere als freiwillig assoziierte Kollektive. Die Einführung von Technik zur Neukalibrierung aller produktionsinternen Zweck-Mittel-Bezüge mußte in Agrarlandschaften wie den genannten von Mehrfelderwirtschaft bis Traktorisierung nicht nur ein Arbeitsleben umwälzen, sondern setzte auch ohne die Fundamente anderer Techniken an, die anderswo für die bürgerliche Welt bereitlagen, darunter Schreiben und Lesen, aber auch jene Varianten von Arbeitsdisziplin, Zeitmanagement, Welterschließungsroutine, Körperschemata und so fort, die Foucault mit dem schönen und treffenden Ausdruck »Techniken des Selbst« benannt und welche die Psychoanalyse zuvor unter Marken wie »Ich-Erweiterung« begriffen hat: Wenn ich etwas hervorbringen kann, weil ich verstanden habe, wie das geht, bin ich reicher individuiert als einer, der für irgendeine Tätigkeit abgerichtet wurde, die er nicht durchschaut. Von Leuten, die gewohnt sind, für den Zaren zu beten, der sie schinden läßt, kann man Selbstverwaltung nicht nur deshalb nicht erwarten, weil die Dorfgeistlichen dagegen hetzen, sondern auch, weil Leute, die noch nicht bei einem »Ich« angekommen sind, das nur als Produkt von Reichtum, Auswahlchancen, also Differentiation zustande kommen kann, mit der Aufforderung Selbstverwaltung nichts anderes anfangen werden als mit Befehlen immer. Als

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