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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Bibelverfasser, Kirchenväter und Aristoteliker dem Humanismus des Erasmus den Boden bereitet wie dieser der Reformation, die wiederum der Aufklärung, was man, wie Benjamin die Mediengeschichte, unmittelbar als eine Historie des Explizitmachens von Implizes zu verstehen gar nicht umhinkann. Auch Marx und Engels beginnen ihre Arbeit als philologisch arbeitende Dogmengeschichtler; man kann eigentlich sagen, daß zwar nicht überall, wo Philologie ist, auch eine Aufklärung wird (auch das Gegenteil, die Gegenrichtung ist, wie bei den Dingen, die Benjamin widersprechen und McLuhan aufgefallen sind, denkbar, was etwa der Fall Nietzsche zeigt: die Wendung der philologisch gerüsteten Dogmenkritik ins Irrationalistische, der Angriff auf das, was »an den Quellen« vernünftig ist, spätere, an ihm orientierte Zertrümmerungshermeneutiken und -antihermeneutiken schwanken dann oft beträchtlich zwischen verdunkelnden und erhellenden Praktiken), dafür aber da, wo keine Philologie ist, auch keine Aufklärung wird. Manchmal erreichen beide geschichtlich jedoch nicht, was Theorien, die Fortschritt mit Geschichte verwechseln, als ihr Ziel betrachten müssen: Zwar läßt sich die seit Eröffnung der ersten globalen »Kulturkämpfe« im ersten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts beliebte Narrenrede, der schlimme Islam sei schon deshalb zwangsläufig zum scheußlichen politischen Islamismus mutiert, weil er eben keinen Humanismus, keine Renaissance und keine Aufklärung habe erleben müssen, schon an oberflächlicher Bekanntschaft etwa mit Averroes’ großartiger Entscheidender Abhandlung blamieren, die mit unvergleichlichem Geschick aus dem Koran das autonome Aussagenprüfungsrecht der Vernunft deduziert, und daß die ganze europäische Renaissance ohne Avicenna und die islamische Aufbewahrung der Antike schwer denkbar ist, von realgeschichtlichen Radikalphänomenen wie Assassinen und Karmaten ganz abgesehen, aber was es tatsächlich nicht gegeben hat, war ein erfolgreicher Sieg über irgendeine der europäischen vergleichbare Feudalität durch irgendein analoges Stadtbürgertum. Statt dessen hat das Interesse westlich-nördlicher Imperialisten an geeigneten Satrapen diese dazu verführt, ihre militärische Überlegenheit zur Instituierung oder Verewigung halbbarbarischer Schrecken wie des Hauses Saud einzusetzen und jede genuin bürgerliche Selbstemanzipation von dergleichen, ganz zu schweigen von irgendeinem philosozialistischen Republikanismus nennenswerten Tiefgangs, mit aller Härte zu bekämpfen, so daß die sozialen Widersprüche denn als binnenreligiöse Debatten arretiert wurden, vor denen man sich nicht öffentlich ekeln sollte, ohne wenigstens genausoviel Widerwillen gegen das darin ausgedrückte Unrecht als solches zum Ausdruck zu bringen.
     
    Rein ideengeschichtlich arbeitet die Gegenaufklärung freilich am liebsten (nicht der Erfinder, aber der Meister dieser Technik ist Friedrich Schlegel gewesen): Man greife einzelne logische Momente der aufklärerischen Argumentation heraus, ontologisiere, essentialisiere, isoliere, hypostasiere sie – macht man das mit dem philologischen Dispositiv (indem man etwa das Notwendige und das Hinreichende daran durcheinanderbringt), kommt man auch und gerade dann, wenn man das Konstrukt positiv wendet und der Menschheit zu ihrem Segen anempfiehlt, bald bei einer merkwürdigen Synthese aus endlosem Gespräch und hermeneutischer Soziometaphysik an, wie Rortys Leute und der rechte Flügel der dortigen Derrida-Leserschaft sie mögen (von denen sich Jacques Derrida selbst allerdings deutlich genug abgegrenzt hat, wenn auch in höflicher, nichtantagonistischer Form, wie man etwa an seinen Äußerungen im von Chantal Mouffe herausgegebenen Bändchen Dekonstruktion und Pragmatismus – Demokratie, Wahrheit und Vernunft von 1999 erkennen kann). Rorty hielt, als er diesen Weg lange genug beschritten hatte, die Philosophie als Ganzes schließlich für ein literarisches Genre, das mit seiner eigenen Philologie zunehmend zusammenfalle, was er nicht einmal bedauerte, da es immerhin belege, der Irrtum sei überwunden, es gebe so etwas wie spezifisch philosophische Probleme. Tragisch daran ist, daß dabei jede Erinnerung daran aufgegeben wird, daß es doch gerade die über Philologie vermittelte Entdeckung antiker Autoren war, die den frühen europäischen Bürgern einmal das Formulieren ihrer einerseits philosophischen, andererseits aber eminent politischen Probleme

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