Der Implex
fortan daran zu glauben, daß er das schon von allein tun wird) schätzen gelernt (man hat doch mehr Frieden so, jedenfalls solange das Kapital keine Kriege braucht, um seine Verwertungsbedingungen zu erhalten oder zu verbessern). Die Handwerklerei nach der Seite der Versöhnung zu überwinden statt nach derjenigen der revolutionären Transformation des Gemeinwesens war ein Vorgehen, das in der berühmten Spaltung der russischen Sozialdemokratie in eine bolschewistische und eine menschewistische Fraktion historisch in ein Sinnbild gefaßt ist, an dem bessere Leute als wir verzweifelt sind (langfristig betrachtet hat sie beiden Fraktionen nicht gutgetan). Die Gewerkschaften, ökonomischer Arm der Bewegung, erlebten unterdessen einen befremdlichen Positionswechsel, zu dem sie vielfach gelangten wie die Jungfrau zum Kind: Von einer innersozialdemokratischen »Rechten«, die den revolutionären Schwung bremst, wurde sie mancherorts unversehens zu einer Linken, die bei Strafe des Entzugs jeder Existenzberechtigung auf ein paar Minimalforderungen bestehen muß, deren Zerschmetterung durch »New Labour«, Schröders »Neue Mitte« und verwandte Tiefschläge des politischen Arms sonst beschlossene Sache wäre. Daß diese Tiefschläge überhaupt mit Aussicht auf Erfolg gewagt werden konnten, hat abermals mit dem Ende der sozialistischen Staatenwelt zu tun – in England etwa war schon zu Thatcherzeiten ein Pionierversuch unternommen worden, aber die damals aus der Labourpartei ausscheidenden rechtsopportunistischen »Social Democrats« waren zu früh gekommen; erst Blair machte ihre Träume wahr, weil der allgemeine politische Horizont der Arbeiterbewegung (ohne den die Politisierung, das Kooptieren neuer Menschen, wie wir oben gesehen haben, eine ziemlich aussichtsarme Angelegenheit ist), das Projekt »Sozialismus«, in eine schwere Legitimitätskrise gestürzt war. Der sozialistische Staatenkollaps stellte im Osten rasch die verschärfte Neuauflage frühkapitalistischer, diesmal von Banden statt robber barons (und alsbald in China von der Partei, die, gewarnt vom russischen Verlauf, die Sache selbst in die Hand nahm) organisierter Verhältnisse wieder her, neureiche Mafiosi und hungernde Bergarbeiter, Separatisten und ein rapide verwahrlosender Beamtenapparat ergaben ein malerisches Bild, dem man nicht erst als Marxistin gegenübertreten mußte, um es erschreckend zu finden.
So geht Dialektik: Im Sozialismus – alle, die in westlicher Gemeinschaftskunde aufgepaßt haben, wissen das – gibt es weniger Gewerkschaftsfreiheit als im vorsozialistischen Kapitalismus, dafür aber im postsozialistischen Siegerkapitalismus einfach gar keine mehr; Streikposten haben in der Bandenwelt weniger zu bestellen als im autoritärsten Staat, selbst dem Zarismus. Derweil regieren weiter westlich die Zerstörer der Tarifreichweite, die Herren des Standortterrors, also der Abwanderungsdrohung des Kapitals in Niedriglohnzonen wie den von abgeräumten Staatsparteien hinterlassenen Sozialwüsten des Ostens, die Lohnnebenkostendämpfer, Zerteiler des sozialen Netzes, Einrichter von Zuständen also, in denen Gewerkschaftsdachverbände an neuen arbeitsteiligen Spezialgewerkschaften, breiter Entsolidarisierung, negativem Wahrwerden syndikalistischer Träume zerbrechen, Ärztinnen bei Streiks nicht auf Pfleger und diese nicht mit jenen rechnen können und die sogenannte »Krise der Repräsentation« als vornehmer Ausdruck für den Umstand erfunden wird, daß die Leute langsam ahnen, daß ihre Funktionäre zwar Mitgliedsbeiträge abgreifen, dafür aber nicht mehr allzuviel an Zugeständnissen des Kapitals reinholen – die Lösung der Sowjets, das imperative Mandat, kommt freilich nicht in Frage, die Leute müssen, man ist doch demokratisch, ihrem Gewissen verpflichtet bleiben, auch wenn dieses Ding käuflicher ist, als man sich menschenfreundlicherweise wünschen möchte. Solche Frömmigkeit weicht freilich einer simplen logischen Wahrheit aus: Wenn man ein Kollektiv annimmt, das seine Interessen gegen ein anderes durchsetzen muß, dann können sich damit, ein endliches Zeitbudget vorausgesetzt, immer entweder alle jeweils täglich ein Weilchen oder wenige, vom Rest Finanzierte ganztägig hauptamtlich befassen, tertium non datur (bei der Entscheidung wäre, wenn es etwa um Taktisches geht, unbedingt zu bedenken, daß dreißig Leute in zwanzig Minuten weniger regeln können als eine Person in dreißig mal zwanzig; das Programmrad allerdings
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