Der Implex
sollten immer möglichst viele drehen, es bewegt sich ja ohnehin langsam).Ohne Lohneinbuße eine beliebige Zeitmenge am Tag für die Mitbestimmung zu spendieren, können sich Lohnabhängige nur erlauben, wenn die Besitzenden die Lohnhöhe nicht nach freiem Ermessen festsetzen können, und darin steckt schon wieder, embryonal aber an Haupt und Gliedern erkennbar, die Machtfrage. »Leute sollen ihre Belange selber regeln« heißt selbst unter die Lohnarbeit hinter sich lassenden Bedingungen mindestens eingeschränkte Länge des Arbeitstages; Basisbewegte haben in diesem Belang allerdings seit jeher die Gewerkschaftshauptamtlichen im Verdacht, sich dafür nicht hinreichend zu interessieren, weil sie die Verbreiterung der Verhandlungskompetenzen nicht wollen. Diese strukturelle Schwäche des Freistellungskonzepts (dem man logisch, wie gesagt, nicht leicht ausweichen kann) ging seit Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit der historischen Schwäche einer Niederlagenzeit, in der die Gewalthaber in die Offensive gehen, eine unheilvolle Legierung ein, aus der schließlich für die Belegschaften das meist nicht besonders klare, aber drückende Bewußtsein resultierte, daß ihre Gewerkschaften, die seit der Blairisierung der Sozialdemokratie keinen politischen Arm mehr hatten, wenig gute Gründe dafür anbieten können, den Unwillen abzustreifen, sich überhaupt in ihnen zu engagieren.
Derzeit erlebt man, wie in diesem trüben Klima allerlei neue Mischungen alter, ganz alter und verhalten neuer Rezepte aufgeboten werden; eins der meistdiskutierten kommt aus den USA und heißt »Organizing« – den Namen, der nach Extremsport und ähnlichen Selbstverwirklichungsmarotten klingt, in Europa zu übernehmen, hat etwas von Cargo-Kult: Wir reden jetzt auch so polyglott daher wie die Unternehmensberater, »heutzutage muß es ja englisch sein« (Donald Duck nach Erika Fuchs), die Psychoanalyse nennt so etwas die »Identifikation mit dem Aggressor«, aber deswegen muß das Ding, welches von dem alt-neuen Wort bezeichnet wird, natürlich noch nicht schlecht sein.
Die Idee kommt aus dem Dienstleistungssektor, eine der treibenden Kräfte ist die Gewerkschaft Service Employees International Union; auch dies ein Zeichen der Zeit: Hieß Arbeiterbewegung früher, daß Beschäftigte der Schwerindustrie die Verstaatlichung der Firmen forderten, bei denen sie arbeiteten, so haben die Ergebnisse der Automatisierung und der sogenannten dritten industriellen Revolution, etwa jobless growth, eine Lage erzwungen, in der sich als Schrittmacherin der Emanzipation der lebendigen Arbeit eine Organisation hervortun kann, die in ihrem Namen zwei Elemente führt, an die Marx und Engels zwar theoretisch dachten, die aber praktisch noch nicht in Reichweite ihres Aktionskreises lagen, die Dienstleisterei und das Internationale an der Arbeit (nicht: an der Beschaffenheit der Klasse, die in mehreren Nationalstaaten dasselbe Los ertragen muß). Daß die Leute, die Unruhe stiften, sich nicht mehr in der Produktion umtun, schon weil man für die längst nicht mehr so viele Leute braucht (etwas, das Marx und Engels stets positiv sahen, die hochproduktive und hocharbeitsteilige Gesellschaft eben), und daß die Internationalität von den Kapitalströmen geschaffen ist, auf deren Bewegung Gewerkschaften (oder was immer für neue Namen, neue Organisations- und Aktionsformen jetzt gefordert sind und daher gefunden werden) eher reagieren, als daß sie ihnen in die Parade fahren, steht nicht zu ändern. Manipulationstheoretisch Geschulten mag in den Sinn kommen, daß man seit neuestem ganze Wirtschaftszweige dabei beobachten kann, daß und wie sie geradezu ins Leben gerufen zu werden scheinen, um die strukturelle Arbeitslosigkeit und die Untauglichkeit der Lohnarbeit zur ferneren Vergesellschaftung, die Emergenz des Schreckensgebildes einer Konstitution des Kapitals zum reellen Gemeinwesen, zur Willkürherrschaft einer bewußtlosen Apparatur, zu verdecken und abzufedern, immer mehr Leute sind nicht allein im System tätig – wo denn sonst, auch die Mächtigsten, um abermals Piwitt zu zitieren, kommen nur noch überall hin, aber nicht mehr raus –, sondern vor allem exklusiv in Branchen, die der Systemstabilisierung, der Abfolge von Systemeigenzuständen und sonst nichts dienen (von der care industry über die Finanzdienstleister bis zu neuen Formen bewaffneter Abteilungen, Armeen von Mietlingen nie zuvor gesehenen Typs – ein Söldner war dagegen ja
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