Der Implex
erlaubende Art des gesellschaftlichen Lebens auf; und wenn ein Volksfeind irgendwo noch nörgelt, er verstünde nicht, was der Enthusiasmus solle, es handele sich doch um nichts weiter als CB-Funk mit Texten und Bildern, so zieht ihn der Spott der Technorati (wir meinen nicht die Firma, sondern die Gilde, also das, was in Deutschland »digitale Bohème«, in Holland »Datendandy« getauft wurde und im wesentlichen die lebensstilgesättigt aufgebrezelte Version dessen ist, was bei John Shirley »techniki« heißt) durch den Virenscanner, bis die häretischen Ideen ausgebrannt sind.
»Wir« sollen uns freuen, daß wir nicht mehr zusammen Beeren pflücken oder Zebras belauern müssen, um zu ein und demselben Stamm zu gehören, denn heutzutage muß ich meinen Nächsten gar nicht erst lieben wie mich selbst, mit ihm Brot brechen und Wein trinken oder den armen Kerl ausgeraubt aus dem Straßengraben aufklauben, um das ozeanische Gefühl zu empfinden, daß wir als individuelle Gattungswesen allesamt Tröpfchen im großen Meer des menschlichen Zusammenhangs sind – es reicht vollkommen, meine letzte Schlägerei in der U-Bahn als mit dem Handy aufgenommenes Video bei YouTube einzustellen und als Feed auf meinem Blog zu posten, meinen Westernheftchen-Lesezirkel als Yahoo-Diskussionsgruppe neu zu organisieren, meine Hobbyband, die sich dem indonesischen Melayu-Deli-Sound mit seinen arabischen und indischen Ornamenten verschrieben hat, mit eigenem Profil bei Facebook oder Myspace anzupreisen und bei Second Life Konzerte geben zu lassen oder die Mitglieder meiner Bürgerinitiative für die Ausweitung der Berufsverbote von Nazis und Kommunisten auf Menschen, die zuviel Zeit mit ihrem iPhone verbringen, Leuten in Island vorzustellen, die dort an einem Deutschkurs samt Landeskunde teilnehmen und deshalb das Wort »Berufsverbote« googeln.
Gesellschaft nämlich, predigt die neue Lehre, bildet man nicht, indem man gemeinsam und koordiniert den Stoffwechsel von Menschen mit der nichtmenschlichen Natur und den von ihnen aus ihr hervorgebrachten Gebrauchswerten reguliert, sondern schon (und nur: notwendige und hinreichende Bedingung gehen da bunt durcheinander), indem man Informationen austauscht. Von allen Handlungen, die dazu geeignet sind, Überleben und Lebensgenuß unserer Art zu organisieren, gelten ausschließlich die kommunikativen als soziale, und daß das immerhin Handlungen sind (die also Zeit kosten, auf Leute zugerechnet werden können und müssen, nicht nur inferentielle, sondern auch kausale Folgebeziehungen um sich versammeln und so weiter), wird am besten auch gleich aus den Gleichungen gekürzt. Diese ganze avantgardistische Sozialphilosophie stellt im wesentlichen eine nebligere, vagere, blassere und verallgemeinerte Spielart der wunderschönen Form von Wirtschaft dar, die man in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erstmals unter dem unvergeßlichen Namen »New Economy« bestaunen durfte. Deren Idee war die Vision stabilen Wachstums gewisser wirtschaftlicher Kennziffern ohne Krisen durch Beschleunigung der Zirkulation als neuem Transmissionsriemen der Selbstverwertung von Werten. Das Prinzip ist sehr einfach; seine schönste Erklärung stammt vom Energiewirtschaftsprofi Kenneth S. Deffeyes, der darin eine Art technokognoszenter Abwandlung der alten Schweizer Weisheit sieht, die auf die Frage »Wovon leben eigentlich die Leute in diesen hochgelegenen Alpendörfern außerhalb der bergtouristischen Saison« die Antwort gibt: Jedes Dorf bezahlt ein anderes dafür, daß es ihm die Betten bezieht und die Wäsche reinigt. »New Economy« heißt dann: Jedes Dorf benutzt das Internet, um einem anderen Dorf Anteilsscheine an einer Fabrik für Toilettenpapier zu verkaufen.
Dieser Unsinn kommt heraus, wenn man Niklas Luhmanns großartigen Einfall, eine strukturfunktionalistische Soziologie ließe sich in Absehung der Produktion und Koordination menschlichen Lebens konstruieren, um die spezifischen Unterschiede zwischen neuzeitlichen, hocharbeitsteiligen Gesellschaften einerseits und primitiveren andererseits für eine detaillierte Beschreibung ersterer besser zu nutzen, als das Theorien können, die sich mit lauter Zeug belasten, das den eigentlich soziologischen Fragestellungen rein äußerlich ist, begriffsrealistisch beim Wort nimmt und nicht versteht, daß das, was heuristisch daran produktiv ist, nicht ohne weiteres zum politökonomischen Heilsprogramm für eine neue Art der Vergesellschaftung
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