Der Implex
Werkzeug ganz anderer Interessen, sind inzwischen unverzichtbare Arbeitsmittel des chemischen Fachs geworden, und schließlich: Das gesellschaftliche Wissen über die Dinge, die man selber herausfindet und treibt, scheint ständig nicht nur hinter dem eigenen hinterherzuhinken, sondern auf schwer faßliche Art auch der absoluten Menge nach abzunehmen – waren die Leute, die man auf Partys jenseits der eigenen Arbeitszusammenhänge trifft, früher auch schon so schlecht informiert, oder werden Neugier und Auffassungsgabe für ganz allgemein Naturwissenschaftliches trotz (oder wegen?) allerlei Pop-Science-Gedöns wirklich jedes Jahr ein bißchen weniger, ein bißchen schlechter?
Vielleicht, so zweifelt man dann, ist man einfach alt geworden, und um die Unverständlichkeit, Lückenhaftigkeit und Verkehrtheit der Dinge, welche die Leute sagen, wenn man sie übers Fachgebiet, dem man so viele Jahre gewidmet hat, daherreden hört, ein bißchen besser verkraften zu können, stellt man Spekulationen an wie die, daß man zwar vom eigenen, in chemischen Dingen gut unterrichteten Standpunkt aus ganz gut beurteilen kann, was diese Menschen alles nicht wissen und nicht verstehen, aber dafür zu sehr vielen Dingen umgekehrt keinen Zugang hat, die sie (gerade wenn sie, was mit den Jahren ja auch immer häufiger vorkommt, jünger sind) wissen und wissen müssen, über die Art, wie man unter Bedingungen einerseits verbesserter Kommunikationsmittel (Netz, Handy) und andererseits verschlechterter Bindungen und Sicherheiten (Familie, Liebe, Berufsbild) noch Freundschaften oder intime Beziehungen herstellt und am Leben hält, über das Navigieren in Räumen, die noch keine Rechtsordnung kennen (oder, wie zunehmend die ökonomische Sphäre, keine mehr), und wenn man Studentinnen der naturwissenschaftlichen Fächer aus Indien oder China kennenlernt, legt man sich nicht nur zu dem Zweck, dem Quineschen principle of charity Genüge zu tun, auch mal Fragen vor wie die, was diese Leute wohl abgesehen von dem bißchen oft verwirrend in ihren Köpfen organisierter Physik oder Chemie, das sie aus den Ländern, in denen sie erzogen wurden, mitgebracht haben, wohl alles wissen und glauben müssen, um solche weiten Wege auf dem Erdball auf sich nehmen zu können: In die kapitalistische Metropole und zurück, einer Ausbildung wegen, von der auch die schlausten Makrotrendforscher nicht sagen können, ob sie »was bringen« wird oder nicht, und wenn ja, wie und wann, wo und warum. Wissen und Glauben: Die Introspektion und die Beobachtung der jungen Fremden lehren, daß es Umstände gibt, die ganz anders angeordnet sind als die der eigenen wissenschaftlichen Laufbahn, in der man am Anfang vieles einfach auswendig lernen und eben glauben muß, mit zunehmenden Wissensressourcen und wachsender Verfügung über die materiellen und intellektuellen Werkzeuge der Erkenntnis aber von immer mehr Sachverhalten, über die man Bescheid weiß, angeben kann, wie man sie sich angeeignet, wie man sie überprüft hat, so daß man tatsächlich vom Glauben zum Wissen fortschreitet und dabei schließlich mit etwas Glück und viel Geduld die Mittel besitzt, auch die frühen, aus Aufbaugründen ganz zu Recht kritiklos geglaubten Dinge darauf abklopfen kann, ob sie stimmen oder sich gefallen lassen müssen, daß man sie revidiert.
Das Bild einer Route, deren Hindernisse sich schließlich immer wieder als Treppenstufen zur nächsthöheren Erkenntnisgewißheit herausstellen, mag für den Weg durch die Wissenschaften zutreffen, im Sozialen – nicht nur als Wissenschaftsmigrantin – sieht es meistens ganz anders aus, nämlich etwa so, wie wenn ein Mensch im Nebel einen Fluß auf Trittsteinen überqueren will, der zu schwer ist, als daß er lange auf den Steinen stehenbleiben dürfte, denn wenn er das tut, sinken sie in den Schlamm des Flußbetts – die Steine (lies: sozialen Instinkte, Einsichten, Vermutungen darüber, »wie es geht«, was die Mitmenschen erwarten et cetera), auf denen er bislang weitergekommen ist, sind bereits versunken, derjenige, auf dem er steht, wird von seinem Gewicht auch allmählich unter die Wasseroberfläche gedrückt, und die nächsten trittsicheren Gelegenheiten zum Weiterkommen sind im Nebel nur erst so unscharf erkennbar, daß es sich auch um reine Irrtümer handeln könnte und er beim nächsten falschen Schritt oder Sprung ins Wasser fällt, das ihn mit sich reißen wird, in dem er wahrscheinlich nicht schwimmen kann und also vielleicht
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