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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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glaubt, ist dann, wenn die gesellschaftlichen Trägerinnen und Träger der in Rede stehenden Religion oder sonstigen Ideologie die Sache anders sehen, für die großen und kleinen Lichter der Forschung, die Hypatias, Galileis, Brunos und Tschirnhause ein schwacher Trost, und daß der sächsische Wissenschaftler im anbrechenden Zeitalter der Vernunft großes Geschick im Umgang mit der Geistlichkeit wie mit ihn fördernden Fürsten, Bürgermeistern, Gymnasiallehrern, Forschern und Technikern bewies, hat allein dafür gesorgt, daß wir seinen Namen überhaupt kennen.
     
    Der und die Klügere geben nicht nur nach, sie taktieren auch, jedenfalls, wenn sie außer klüger auch noch schwächer sind als diejenigen, die es auf sie abgesehen haben.
II.
Bürgerliche Wissenschaften: Kein Nachruf
    Keine idealistische Unwahrheit aber hat seit der Aufklärung eine bessere Presse gehabt als die pia fraus des Vernunftbekenntnisses, die Wahrheit setze sich »am Ende« (wann immer das sein mag) stets mit Notwendigkeit durch. Begründet wurde das mal schlicht, mal kompliziert, bewiesen nie. Die Beschäftigung mit irgendeiner Art Geschichte, ob realer oder intellektueller, hätte den frommen Satz vernichten müssen; daß das nicht geschah, hatte vor allem den Grund, daß seit der Aufklärung nicht nur die Wissenschaften, sondern das ganze um sie organisierte Milieu bürgerlichen Bildungsverständnisses systematisch zu einer sozialen Einrichtung gemacht wurde, in der die Hierarchie von Sätzen, die man äußern durfte, tatsächlich nach Wahrheitswerten organisiert war und die überprüfbaren, wiederholbaren Regularien für deren Ermittlung den Maßstab für Sieg oder Niederlage im Ideenwettstreit abgaben – zu sagen, daß das Vernünftige sich durchsetzt, lief also auf eine Tautologie der Sorte »Sieger siegen irgendwann immer« hinaus. Daß die Luft, die wir atmen, zu etwa einem Fünftel aus Sauerstoff besteht, daß die Kohlenstoffatome im Benzol-Molekül in einem ringförmigen Sechseck angeordnet sind, daß Wunderkerzen Eisenspäne enthalten: Dies ist wahr, man weiß, wie man nachsieht, ob es wahr ist, und es wird viele Leute geben, die wissen, daß es wahr ist, ohne zu wissen, wer es zuerst behauptet hat. Daß Metallica eine bessere Thrash-Metal-Band sind als Overkill, Morgenstund Gold im Mund hat und Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels an einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung litt, die von mangelhafter Autonomieentwicklung im etwa zweiten bis dritten Lebensjahr rührte, wird von unterschiedlich vielen Menschen geglaubt, manchmal unter Verweis auf Kriterien mitgeteilt, die es plausibel machen sollen, manchmal irgendwelchen Leuten zugeschrieben, die es zuerst oder besonders pointiert gesagt haben (die Goebbels-Ansicht wird seit 2010 mit dessen fleißigem Biographen Peter Longerich in Verbindung gebracht, die Heavy-Metal-Behauptung mit verschiedenen Journalistinnen und Kritikern, der Morgenstund-Satz mit jemandem namens Volksmund), aber daß diese Sätze kein denen aus dem vorangegangenen Satz analoges Wahrheitsprestige besitzen, sollte aufmerksam machen für Unterschiede, die zunächst einmal nicht danach verlangen, daß man sie mit abstrakten Reflexionen über Kohärenz- und Korrespondenztheorien der Wahrheit wieder in die Kampfzone des Pro und Contra zerrt, wo alles bezweifelbar ist. Je konkreter die Sätze werden, desto einfacher ist es für die meisten, die irgendeine naturwissenschaftliche Bildung genossen haben, sie der einen oder der anderen Gruppe zuzuschlagen, allen Bemühungen Kuhns, Rortys und ähnlicher Geister zum Trotz – wir werden später noch genauer besprechen, was es damit auf sich hat; einstweilen wollen wir nur den Hinweis geben, daß die genealogische Methode, den Unterschied zwischen den verschiedenen Dignitätswerten der beiden oben umrißhaft angedeuteten Gruppen von glaubwürdigen Aussagen rein genealogisch zu bestimmen, wie das von (manchmal vergröbernd und fälschlich) »Relativistinnen« und »Postmodernen« genannten Menschen häufig getan wurde und wird, jedenfalls irreführend sein kann, insofern sich die erste Gruppe historisch eben nicht in Absetzung und Scheidung von der zweiten herausgebildet hat, sondern im Ringen um ganz andere Aussagegruppen, die sich unter Etiketten wie Theismus, Deismus, Pantheismus, Atheismus versammeln lassen, und zwar nicht nur in der Abstoßung von einigen und Annäherung an andere davon, sondern einigermaßen verwirrend durcheinander (es gab eine Zeit, da

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